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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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bereit, sie zu zahlen.«
    Philip sah ihn eine Weile fest an.
    »Haben Sie keine Angst?«
    Einen Augenblick lang antwortete Cronshaw nicht. Er schien über die Antwort nachzudenken.
    »Manchmal, wenn ich allein bin.« Er schaute Philip an. »Sie meinen, das sei eine Strafe? Sie irren. Ich fürchte mich nicht vor meiner Furcht. Es ist Narrheit, dieses christliche Argument, dass man mit dem Tod im Blick leben solle. Leben kann man nur, indem man vergisst, dass man einmal sterben muss. Der Tod ist unwichtig. Die Furcht davor sollte bei einem weisen Mann nicht eine einzige seiner Handlungen lenken. Ich weiß, dass ich beim Sterben schrecklich nach Atem werde ringen müssen, und ich weiß, dass ich mich fürchterlich ängstigen werde. Ich weiß auch, dass ich schließlich das Leben bitterlich bedauern werde, das mich in diese Patsche gebracht hat; aber ich erkenne dieses Bedauern nicht an. Jetzt halte ich, alt, krank, arm, dem Tod nah, meine Seele noch fest in der Hand, und ich bedaure nichts!«
    »Erinnern Sie sich an den persischen Teppich, den Sie mir gegeben haben?«, fragte Philip.
    Cronshaw lächelte sein altes langsames Lächeln aus vergangenen Tagen.
    »Ich habe Ihnen gesagt, dass er Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage nach dem Sinn des Lebens geben wird. Haben Sie jetzt die Antwort entdeckt?«
    »Nein«, sagte Philip lächelnd. »Wollen Sie sie mir nicht sagen?«
    »Nein, nein, das kann ich nicht. Die Antwort ist bedeutungslos, wenn Sie sie nicht selbst finden.«
    83
     
    Cronshaw war dabei, seine Gedichte zu veröffentlichen. Seine Freunde hatten ihn schon seit Jahren dazu gedrängt, seine Trägheit hatte ihn jedoch immer daran gehindert, die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten. Er hatte auf das Zureden der Freunde stets nur geantwortet, dass die Liebe zur Dichtung in England tot sei. Man brachte ein Buch heraus, das jahrelanges Nachdenken und endlose Arbeit gekostet hatte; dann erhielt es zwei oder drei verächtliche Zeilen unter einem ganzen Berg ähnlicher Bücher, zwanzig oder dreißig Exemplare wurden verkauft und der Rest der Ausgabe eingestampft. Seine Begierde nach Ruhm hatte sich schon lange erschöpft. Das war wie alles andere eine Illusion. Aber einer seiner Freunde hatte nun die Sache selbst in die Hand genommen. Dabei handelte es sich um einen Literaten namens Leonard Upjohn, den Philip ein- oder zweimal mit Cronshaw in den Cafés im Quartier gesehen hatte. Er hatte in England einen beträchtlichen Ruf als Kritiker und war dort der anerkannte Verteidiger der modernen französischen Literatur. Er hatte ziemlich lange in Frankreich unter den Leuten gelebt, die den Mercure de France zu einer der lebendigsten Zeitschriften ihrer Zeit machten, und hatte sich einfach dadurch, dass er ihren Standpunkt auf Englisch ausdrückte, den Ruf der Originalität erworben. Er hatte seinen eigenen Stil geschaffen, indem er Sir Thomas Browne imitierte, vor allem dessen ausgefeilte, abgewogene Sätze und altmodische, prächtige Worte; beides verlieh seinem Schreiben die Anmutung von Individualität. Leonard Upjohn hatte Cronshaw so weit gebracht, ihm seine Gedichte auszuhändigen, wobei sich herausstellte, dass genug da waren, um einen ansehnlichen Band zusammenzustellen. Er versprach, seinen Einfluss bei den Verlegern geltend zu machen. Cronshaw brauchte Geld. Seit seiner Krankheit war es ihm schwerer denn je geworden, mit Ausdauer zu arbeiten; er verdiente kaum genug, um sich den notwendigen Alkohol zu beschaffen, und als ihm Upjohn dann schrieb, dass dieser und jener Verleger die Gedichte zwar bewundere, aber nicht veröffentlichen wolle, fing Cronshaw an, Interesse an der Sache zu zeigen. Er schrieb Upjohn, stellte ihm eindringlich seine Notlage dar und drang in ihn, sich noch eifriger zu bemühen. Jetzt, da es mit ihm zu Ende ging, hatte er den Wunsch, ein veröffentlichtes Buch zu hinterlassen, und im Innersten hatte er das Gefühl, dass er große Dichtung geschaffen hatte. Er erhoffte sich über der Welt zu leuchten wie ein neuer Stern am Himmel. Es hatte etwas Nobles, diese wunderbaren Schätze sein Leben lang für sich zu behalten und sie gnädig der Welt zu überlassen, jetzt, wo seine Zeit auf Erden bald vorbei wäre und er selbst sie nicht mehr bräuchte.
    Sein Entschluss, nach England zu kommen, war die unmittelbare Folge einer Mitteilung Leonard Upjohns, dass ein Verleger sich bereit erklärt habe, die Gedichte zu drucken. Durch ein Wunder an Überredungskunst hatte Upjohn ihn dazu gebracht, ein

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