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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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sieht, ist mir unerträglich.«
    Cronshaw lachte auf.
    »Nun seh sich einer das Gesicht an. Mein lieber Junge, ich glaube wirklich, Sie nehmen sich das zu Herzen, Sie netter Kerl.«
    Philip wurde rot. Er hatte nicht geahnt, dass sein Gesicht den Abscheu zeigte, der ihn beim Anblick dieses scheußlichen Zimmers und der jämmerlichen Lage des armen Poeten erfüllte. Cronshaw beobachtete Philip und fuhr mit stillem Lächeln fort:
    »Ich bin ganz glücklich gewesen. Sehen Sie, hier sind die Korrekturfahnen. Vergessen Sie nicht, dass ich gegenüber Unbequemlichkeiten, die andere Leute quälen, unempfindlich bin. Was bedeuten schon die Lebensumstände, wenn man sich in seinen Träumen zum Herrn über Zeit und Raum erheben kann?«
    Die Korrekturfahnen lagen auf dem Bett, und er hatte sie im Dunkeln ertastet und die Hand darauf gelegt. Er zeigte sie Philip, und seine Augen leuchteten. Er blätterte die Seiten um und freute sich an dem schönen Druck; er las einen Vers vor.
    »Sieht nicht schlecht aus, was?«
    Philip hatte eine Idee. Es würde zwar wieder Ausgaben bedeuten, und eigentlich durfte er sich nicht die geringste Erhöhung seiner Ausgaben leisten, aber andererseits war das hier ein Fall, bei dem er nicht an Sparsamkeit denken wollte.
    »Ich kann den Gedanken, dass Sie hierbleiben, einfach nicht ertragen. Ich habe ein Zimmer frei; augenblicklich ist es leer, aber ich kann sicher jemanden finden, der mir ein Bett leiht. Wollen Sie nicht zu mir kommen und vorläufig bei mir wohnen? Es erspart Ihnen das Geld für die Miete hier.«
    »Ach, mein Bester, Sie würden darauf bestehen, dass ich die Fenster offen halte.«
    »Sie können meinetwegen alle Fenster im Zimmer versiegeln lassen.«
    »Morgen bin ich schon wieder in Ordnung. Ich hätte schon heute aufstehen können; ich war nur zu faul.«
    »Dann haben Sie es mit dem Umzug leichter. Und wenn Sie sich dann irgendwann einmal nicht wohl fühlen, können Sie einfach zu Bett gehen, und ich sehe nach Ihnen.«
    »Wenn es Ihnen Vergnügen macht, komme ich«, sagte Cronshaw mit seinem stumpfen, aber nicht unangenehmen Lächeln.
    »Das ist großartig.«
    Sie kamen also überein, dass Philip Cronshaw am nächsten Tag abholen würde, und Philip nahm sich trotz des arbeitsreichen Vormittags eine Stunde Zeit für die nötigen Vorbereitungen. Er traf Cronshaw fertig angezogen an, in Hut und Mantel auf dem Bettrand sitzend. In einem kleinen schäbigen Handkoffer hatte er seine Kleider und Bücher verstaut; er stand neben ihm auf dem Fußboden. Cronshaw sah aus, als säße er im Wartesaal eines Bahnhofs. Philip lachte über den Anblick, den er bot. Sie fuhren in der Droschke nach Kennington hinüber, und Philip brachte seinen Gast erst einmal in seinem eigenen Zimmer unter. Er war schon frühmorgens aufgestanden, um ein altes Bett, eine billige Kommode und einen Spiegel zu kaufen. Cronshaw machte sich sofort an die Arbeit und korrigierte die Fahnen. Es ging ihm viel besser.
    Philip empfand ihn als anspruchslosen Gast; er war zwar etwas reizbar, aber das war für seine Krankheit symptomatisch. Da Philips Vorlesungen schon früh um neun anfingen, sah er Cronshaw nur abends. Ein- oder zweimal überredete Philip ihn, sein karges Mahl, das er sich am Abend selbst zubereitete, mit ihm zu teilen, aber Cronshaw war zu unruhig, um zu Hause zu bleiben. Er zog es meist vor, sich in einem der billigsten Restaurants in Soho etwas zu essen zu holen. Philip bat ihn, zu Dr.   Tyrell zu gehen; aber das lehnte er stur ab; er wusste, dass der Arzt ihm das Trinken verbieten würde, und davon wollte er nichts wissen. Er fühlte sich des Morgens immer schrecklich übel, aber sein Absinth am Mittag brachte ihn wieder auf die Beine, und wenn er dann um Mitternacht nach Hause kam, hielt er wieder so glänzende Reden wie damals, als Philip ihn kennengelernt hatte. Die Korrekturbögen waren durchgesehen; der Band sollte unter den Neuerscheinungen sein, die im Frühjahr herauskamen, wenn die Leserschaft sich von der Flut der Weihnachtsbücher erholt hatte.
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    Zu Beginn des neuen Jahres wurde Philip Praktikant im chirurgischen Bereich der ambulanten Abteilung. Die Arbeit war ähnlich wie die, die er gerade hinter sich hatte, mit der größeren Unmittelbarkeit jedoch, die Chirurgie im Vergleich zur inneren Medizin bietet. Ein großer Teil der Patienten litt an den beiden Krankheiten, denen die träge Öffentlichkeit in ihrer Prüderie gestattete, sich breitzumachen. Der Assistenzarzt, für den Philip

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