Der Menschen Hoerigkeit
arbeitete, hieß Jacobs. Es war ein untersetzter Mann von überschwenglicher Jovialität, kahlköpfig und laut; er sprach mit Cockney-Akzent und wurde von den Studenten gewöhnlich als ein »schrecklicher Schuft« beschrieben; aber einige sahen darüber hinweg, weil er sowohl als Chirurg wie als Lehrer sehr tüchtig war. Er besaß sehr viel Witz, den er an Patienten und Studenten gleichermaßen übte. Es bereitete ihm großes Vergnügen, seine Assistenten lächerlich zu machen. Das war nicht besonders schwierig, da sie wenig wussten, nervös waren und ihm nicht wie seinesgleichen antworten konnten. Er hatte viel mehr Spaß an diesen Nachmittagen und seinen bissigen Bemerkungen als die Studenten, die diese mit einem Lächeln einstecken mussten. Eines Tages kam ein Junge mit einem Klumpfuß. Seine Eltern wollten gern wissen, ob etwas dagegen getan werden könne. Mr. Jacobs wandte sich an Philip.
»Sie übernehmen den Fall, Carey. Es ist ein Thema, über das Sie wohl Bescheid wissen dürften.«
Philip wurde über und über rot, umso mehr, als der Chirurg sich offensichtlich einen Scherz erlaubte, und seine eingeschüchterten Praktikanten lachten gehorsam mit. Tatsächlich hatte sich Philip, seit er im Hospital arbeitete, sehr stark mit diesem Thema beschäftigt. Er hatte alle Bücher der Bibliothek gelesen, die den Talipes in seinen verschiedenen Formen zum Thema hatten. Er ließ den Jungen Schuhe und Strümpfe ausziehen. Es war ein vierzehnjähriger Junge, mit Stupsnase, blauen Augen und einem sommersprossenübersäten Gesicht. Sein Vater erklärte, dass er, wenn irgend möglich, etwas dagegen tun wolle; es würde dem Jungen beim Brotverdienen so hinderlich sein. Philip sah ihn neugierig an. Es war ein lustiger Bursche, keineswegs schüchtern, sehr redselig und keck, wofür sein Vater ihn tadelte. Er zeigte großes Interesse für seinen Fuß.
»Wissen Sie, es ist nur wegen des Aussehens«, sagte er zu Philip. »Sonst stört er mich gar nicht.«
»Sei still, Ernie«, ermahnte ihn sein Vater. »Du redest zu viel dummes Zeug.«
Philip untersuchte den Fuß und glitt langsam mit der Hand über das unförmige Gebilde. Er konnte nicht verstehen, wieso der Junge nichts von der Beschämung empfand, die ihn so bedrückte. Er fragte sich, warum er nicht ebenfalls seine Verkrüppelung mit diesem philosophischen Gleichmut hinnehmen konnte. Gleich darauf trat Mr. Jacobs zu ihm. Der Junge saß auf einer Couch; der Chirurg und Philip standen neben ihm; dicht gedrängt im Halbkreis standen die Studenten um sie herum. In seiner gewohnten glanzvollen Art gab Jacobs eine anschauliche Schilderung des Klumpfußes; er sprach von den verschiedenen Abarten und beschrieb, welche Formen auf verschiedene anatomische Bedingungen folgten.
»Sie haben wahrscheinlich talipes equinus ?«, fragte er, sich plötzlich Philip zuwendend.
»Ja.«
Philip spürte, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren, und er fluchte innerlich, weil er abermals rot wurde. Er fühlte seine Hände heiß und feucht werden. Der Chirurg sprach so flüssig, wie seine lange Praxis es ihn gelehrt hatte, und mit dem bewundernswerten Scharfsinn, der ihn auszeichnete. Er hatte ein ungeheures Interesse an seinem Beruf. Aber Philip hörte nicht hin. Er wünschte nur, dass der Fall möglichst schnell erledigt würde. Plötzlich merkte er, dass sich Jacobs an ihn wandte.
»Macht es Ihnen etwas aus, für einen Augenblick den Strumpf auszuziehen, Carey?«
Philip fühlte, wie ihm ein Schauer durch Mark und Bein lief.
Instinktiv wollte er dem Chirurgen sagen, er solle sich zum Teufel scheren, aber er hatte nicht den Mut, eine Szene zu machen. Er zwang sich dazu, gleichgültig zu wirken.
»Nicht im Geringsten«, war seine Antwort.
Er setzte sich hin und schnürte seinen Schuh auf. Die Finger zitterten ihm, und er glaubte, er würde den Knoten nie lösen können. Er erinnerte sich daran, wie sie ihn in der Schule gezwungen hatten, seinen Fuß zu zeigen, und wie sich ihm die Quälerei ins Herz gefressen hatte.
»Er hält seine Füße schön rein und sauber, nicht?«, sagte Jacobs mit seiner kratzenden Stimme.
Die anwesenden Studenten kicherten. Philip bemerkte, wie der Junge, der zur Untersuchung hier war, voller Neugierde auf seinen Fuß hinuntersah. Jacobs nahm den Fuß in die Hände und sagte:
»Ja, das dachte ich mir. Wie ich sehe, haben Sie eine Operation gehabt. Vermutlich als Kind, wie?«
Er fuhr mit seinen flüssigen Erklärungen fort. Die Studenten beugten sich vor
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