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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Vorschusshonorar von zehn Pfund zu zahlen.
    »Vorschuss, bitte schön«, sagte Cronshaw zu Philip. »Milton hat insgesamt nur zehn Pfund bekommen.«
    Upjohn hatte versprochen, einen von ihm gezeichneten Artikel über den Band zu schreiben und auch seine Freunde, die Bücher besprachen, zu bitten, dass sie sich für ihn einsetzten. Cronshaw tat so, als nähme er die ganze Angelegenheit nicht wichtig; aber man konnte leicht sehen, wie ihn der Gedanke an das Aufsehen entzückte, zu dem es nun kommen würde.
    Eines Tages ging Philip verabredungsgemäß in das scheußliche Lokal, wo Cronshaw immer seine Mahlzeiten einnahm. Aber Cronshaw erschien nicht. Philip erfuhr, dass er schon drei Tage nicht mehr dort gewesen war. Er aß etwas und ging dann zu der Wohnung, von der aus Cronshaw ihm zuerst geschrieben hatte. Es war nicht ganz einfach, die Hyde Street zu finden. Es war eine Straße mit zusammengedrängten, finsteren Häusern; viele Fensterscheiben waren zerbrochen und mit Streifen aus französischen Zeitungen notdürftig repariert; die Türen waren seit Jahren nicht mehr gestrichen worden; im Erdgeschoss waren schäbige kleine Läden, Wäschereien, Flickschuster und Schreibwarenhandlungen. Zerlumpte Kinder spielten auf der Straße, und ein alter Leierkasten gab eine ordinäre Melodie von sich. Philip klopfte an die Tür von Cronshaws Haus (unten war ein billiger Bonbonladen), und eine ältere Französin in schmutziger Schürze machte ihm auf. Philip fragte sie, ob Mr.   Cronshaw zu Hause sei.
    »Ach ja, da ist ein Engländer, der wohnt ganz oben, nach hinten hinaus. Ich weiß nicht, ob er da ist. Wenn Sie ihn sprechen wollen, gehen Sie am besten hinauf und sehen nach.«
    Die Treppe war von einer einzigen Gasflamme beleuchtet. Ein widerwärtiger Geruch hing in dem Haus. Als Philip nach oben ging, trat aus einem Zimmer im ersten Stock eine Frau heraus, sah ihn misstrauisch an, sagte aber nichts. Auf dem obersten Flur waren drei Türen. Philip klopfte an eine und klopfte nochmals; er erhielt keine Antwort; er drückte die Türklinke, aber die Tür war verschlossen. Er klopfte an eine andere, bekam keine Antwort und versuchte aufzumachen. Sie ging auf. Das Zimmer war dunkel.
    »Wer ist da?«
    Er erkannte Cronshaws Stimme.
    »Carey. Kann ich hereinkommen?«
    Er erhielt keine Antwort. Er ging hinein. Das Fenster war geschlossen, und der Gestank war überwältigend. Die Bogenlampe von der Straße her gab ein bisschen Licht, und er sah, dass er sich in einem kleinen Zimmer mit zwei hintereinanderstehenden Betten befand; dann gab es noch einen Waschtisch und einen Stuhl darin, aber sie ließen kaum Platz genug, um sich noch zu bewegen. Cronshaw lag in dem Bett, das dem Fenster am nächsten stand. Er regte sich nicht, kicherte nur leise vor sich hin.
    »Warum zünden Sie die Kerze nicht an?«, sagte er dann.
    Philip zündete ein Streichholz an und entdeckte, dass neben dem Bett auf dem Boden ein Leuchter stand. Er zündete ihn an und stellte ihn auf den Waschtisch. Cronshaw lag unbeweglich auf dem Rücken; er sah sehr komisch aus im Nachthemd, und seine Kahlköpfigkeit brachte einen geradezu aus der Fassung. Sein Gesicht war erdfarben und totenähnlich.
    »Hören Sie, Verehrtester, Sie sehen schrecklich krank aus. Haben Sie denn jemanden, der nach Ihnen sieht?«
    »George holt mir jeden Morgen, ehe er zur Arbeit geht, eine Flasche Milch.«
    »Wer ist George?«
    »Ich nenne ihn George, weil er eigentlich Adolphe heißt. Er teilt mit mir diese Palastgemächer.«
    Philip bemerkte, dass das zweite Bett nach der Nacht nicht wieder gemacht worden war. Wo der Kopf gelegen hatte, war das Kissen schwarz. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Sie dieses Zimmer noch mit einem Zweiten teilen?«, rief er.
    »Warum nicht? Wohnen kostet in Soho Geld. George ist Kellner; er geht um acht frühmorgens fort und kommt erst nach der Polizeistunde zurück; er ist mir also nie im Wege. Wir schlafen beide nicht gut, und so hilft er mir die Nachtstunden vertreiben, indem er mir Geschichten aus seinem Leben erzählt. Er ist Schweizer, und ich habe immer etwas für Kellner übriggehabt. Sie sehen das Leben von einem unterhaltsamen Standpunkt aus.«
    »Wie lange liegen Sie schon?«
    »Seit drei Tagen.«
    »Heißt das, dass Sie seit drei Tagen weiter nichts als eine Flasche Milch getrunken haben? Warum haben Sie mir denn um Gottes willen nicht eine Zeile geschrieben? Der Gedanke, dass Sie hier den ganzen Tag allein liegen, ohne dass eine Seele nach Ihnen

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