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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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die Athelnys erst gegen zehn. Die Kinder kamen um acht herein, um gute Nacht zu sagen, und hielten Philip ganz natürlich ihre Gesichter hin, um sich küssen zu lassen. Er hatte sie bereits ins Herz geschlossen. Nur Sally reichte ihm die Hand.
    »Sally küsst Herren nie, ehe sie sie nicht zweimal gesehen hat«, sagte ihr Vater.
    »Dann müssen Sie mich schon noch mal einladen«, sagte Philip.
    »Sie müssen auf das, was Vater sagt, nicht hören«, bemerkte Sally mit einem Lächeln.
    »Sie ist eine höchst beherrschte junge Frau«, fügte ihr Vater noch hinzu.
    Zum Abendbrot gab es Brot, Käse und Bier, während Mrs.   Athelny die Kinder zu Bett brachte. Als Philip dann in die Küche ging, um ihr gute Nacht zu sagen – sie saß dort und ruhte sich bei der Lektüre des The Weekly Despatch aus –, lud sie ihn herzlich ein, seinen Besuch zu wiederholen.
    »Solange Athelny Arbeit hat, gibt es sonntags immer ein ordentliches Mittagessen«, sagte sie, »und es ist eine gute Tat, wenn Sie herkommen und sich mit ihm unterhalten.«
    Am darauffolgenden Samstag erhielt Philip eine Postkarte von Athelny, worauf stand, dass man ihn morgen zum Essen erwarte. Da er jedoch fürchtete, dass Mr.   Athelny, bei seinen knappen Mitteln, es vielleicht lieber sähe, dass er ablehnte, schrieb er zurück, dass er erst zum Tee kommen könne. Er kaufte einen großen Pflaumenkuchen, damit seine Bewirtung nichts kosten sollte. Die gesamte Familie war höchst erfreut, ihn wiederzusehen, und der mitgebrachte Kuchen eroberte ihm die Kinder völlig. Er bestand darauf, dass sie alle zusammen ihren Tee in der Küche einnahmen, und die Mahlzeit verlief turbulent und fröhlich.
    Philip gewöhnte sich bald daran, jeden Sonntag zu Athelnys zu gehen. Er wurde der große Liebling der Kinder, weil er schlicht und ohne jedes Getue auftrat und weil klar war, dass er sie liebgewonnen hatte. Sobald sie ihn an der Tür läuten hörten, steckte eines den Kopf aus dem Fenster, um sicherzugehen, dass er es war, dann kam die ganze Bande lärmend herunter, um ihn einzulassen. Sie warfen sich ihm um den Hals. Beim Tee kämpften sie um das Vorrecht, neben ihm sitzen zu dürfen. Es dauerte nicht lange, so nannten sie ihn Onkel Philip.
    Athelny war sehr mitteilsam, und so erfuhr Philip Stück für Stück die verschiedenen Phasen seines Lebens. Er hatte schon viele Beschäftigungen gehabt, und es wollte Philip scheinen, als hätte er eine besondere Geschicklichkeit, aus allem, was er versuchte, ein Durcheinander zu machen. Er war auf einer Teepflanzung in Ceylon gewesen, dann als Handlungsreisender für italienische Weine in Amerika; seine Stellung als Sekretär bei den Wasserwerken in Toledo war von längerer Dauer gewesen als seine sonstigen Stellungen. Er hatte sich als Journalist betätigt und als Gerichtsreporter für eine Abendzeitung gearbeitet; er war Mitherausgeber einer Zeitung in Mittelengland und Herausgeber einer andern Zeitung an der Riviera gewesen. Bei allen seinen Stellungen hatte er amüsante Anekdoten gesammelt, die er mit großer Freude an seinen eigenen erzählerischen Fähigkeiten vortrug. Er hatte eine ganze Menge gelesen; das meiste Vergnügen bereiteten ihm Bücher, die etwas außergewöhnlich waren, und er öffnete die Schleusen seines abstrusen Wissens mit kindlicher Freude über die Verwunderung seines Zuhörers. Vor etwa drei oder vier Jahren hatte ihn die äußerste Armut in die Stellung als Presseagent einer großen Kurzwarenfirma getrieben, und obwohl er die Arbeit seinen Fähigkeiten, die er sehr hoch einschätzte, nicht angemessen empfand, hatten ihn doch die Entschlossenheit seiner Frau und die Sorge für seine Familie dazu bewogen, dort zu bleiben.
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    Wenn er die Athelnys verließ, ging Philip die Chancery Lane hinunter und am Strand entlang, um am Ende der Parliament Street einen Bus zu nehmen. Eines Sonntags, als ihre Bekanntschaft etwa sechs Wochen alt war, tat er das auch wie üblich, aber der Bus nach Kennington war überfüllt. Es war Juni, doch es hatte tagsüber geregnet, und die Nacht war kalt und rauh. Er ging bis zum Piccadilly Circus, um leichter einen Platz zu bekommen; der Omnibus hielt dort am Brunnen und hatte gewöhnlich nur zwei bis drei Fahrgäste. Die Linie fuhr jede Viertelstunde, und er musste einige Zeit warten. Er sah gedankenlos auf die Menschenmenge. Die Kneipen wurden gerade geschlossen, und es waren viele Menschen auf der Straße. Sein Geist war noch mit den Gedanken beschäftigt, die Athelny stets

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