Der Menschen Hoerigkeit
Mildred führte Philip einen Flur entlang zu einem Hinterzimmer. Es war ganz dunkel; sie bat ihn um ein Streichholz und zündete das Gas an. Die Lampe hatte keine Glocke, und das Gas flackerte grell. Philip sah, dass sie in einem schmierigen kleinen Schlafzimmer waren, in dem eine für den Raum viel zu große Garnitur Möbel stand, die alle so angestrichen waren, als wären sie aus Eichenholz. Die Spitzengardinen waren sehr schmutzig. Der Kamin war hinter einem großen Papierschirm verborgen. Mildred ließ sich auf einen Stuhl fallen, der neben dem Kamin stand. Philip setzte sich auf den Bettrand. Er hatte ein Gefühl würgender Scham. Er sah jetzt, dass Mildreds Wangen von dick aufgetragenem Rouge leuchteten und die Augenbrauen schwarz nachgezogen waren, aber sie sah mager und krank aus. Das Rot auf den Wangen betonte die grünliche Blässe ihrer Haut noch stärker. Sie starrte regungslos den Papierschirm an. Philip wusste nicht, was er sagen sollte, und es würgte ihn in der Kehle, als ob er gleich weinen müsste. Er bedeckte die Augen mit der Hand.
»Mein Gott, ist das schrecklich!«, stöhnte er.
»Ich weiß nicht, warum du dich so darüber aufregst. Ich dächte, du würdest dich darüber freuen.«
Philip antwortete nicht; nach einer Weile brach sie in Schluchzen aus.
»Du meinst doch nicht etwa, dass ich das tue, weil es mir Spaß macht?«
»Ach, meine Liebe«, rief er, »es tut mir so leid, so furchtbar leid.«
»Das ist allerdings eine wunderbare Hilfe für mich.«
Wieder wusste Philip nichts zu sagen. Er hatte verzweifelte Angst, dass sie alles, was er sagte, als Vorwurf oder Hohn auffassen könnte.
»Wo ist die Kleine?«, fragte er endlich.
»Bei mir in London. Ich hatte kein Geld, um sie weiter in Brigthon zu lassen; so musste ich sie also zu mir nehmen. Ich habe ein Zimmer oben in Highbury Way. Ich habe ihnen gesagt, ich sei beim Theater. Es ist ein langer Weg, jeden Tag ins West End zu gehen, aber es ist selten genug, dass überhaupt jemand an Damen vermietet.«
»Wollten Sie dich im Laden nicht wieder anstellen?«
»Ich habe nirgendwo Arbeit finden können. Ich habe mir die Beine nach Arbeit abgelaufen. Einmal fand ich eine Stelle; aber dann blieb ich einmal eine Woche lang weg, weil mir nicht gut war, und als ich zurückkam, sagten sie, sie bräuchten mich nicht mehr. Man kann es ihnen ja auch nicht übelnehmen, nicht? Sie können es sich schließlich nicht leisten, Mädchen zu beschäftigen, die nicht kräftig sind.«
»Du siehst nicht sehr gut aus«, sagte Philip.
»Es geht mir eigentlich auch nicht gut genug, um heute auszugehen, aber ich konnte es nicht ändern, ich brauche das Geld. Ich habe an Emil geschrieben und ihm gesagt, dass ich völlig pleite bin; aber er hat den Brief überhaupt nicht beantwortet.«
»Du hättest mir doch schreiben können.«
»Das wollte ich nicht, nicht nach allem, was geschehen ist; außerdem wollte ich nicht, dass du weißt, dass ich in Schwierigkeiten stecke. Es hätte mich nicht gewundert, wenn du mir einfach gesagt hättest, ich hätt’s verdient.«
»Du scheinst mich noch immer nicht gut zu kennen.«
Einen Augenblick lang kam die Erinnerung zurück an alle Qual, die er ihretwegen gelitten hatte, und ihm wurde übel, wenn er daran dachte. Aber es war nichts mehr als eine Erinnerung. Als er sie jetzt ansah, war ihm klar, dass er sie nicht mehr liebte. Sie tat ihm schrecklich leid; aber er war froh, dass er frei war. Während er sie ernst betrachtete, fragte er sich, wie er so leidenschaftlich in sie hatte vernarrt sein können.
»Du bist in jedem Sinn des Wortes ein Gentleman«, sagte sie. »Du bist der Einzige, der mir je begegnet ist.« Sie schwieg einen Augenblick und wurde dann rot. »Ich hasse es, dich darum bitten zu müssen, Philip, aber kannst du etwas erübrigen?«
»Glücklicherweise habe ich etwas Geld bei mir. Aber es sind leider nur zwei Pfund.«
Er gab ihr die Münzen.
»Ich zahle es dir zurück, Philip.«
»Ist schon recht.« Er lächelte. »Mach dir keine Sorge deswegen.«
Er sagte nichts von dem, was er eigentlich sagen wollte. Sie hatten geredet, als wäre das alles ganz natürlich, und es sah so aus, als würde sie nun zu ihrem grauenvollen Leben zurückkehren und als könnte er nichts tun, um sie daran zu hindern. Sie war aufgestanden, um sich das Geld zu holen, und nun standen sie beide.
»Halte ich dich auf?«, fragte sie. »Du wirst doch wahrscheinlich nach Hause wollen?«
»Nein, es hat keine Eile«, antwortete
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