Der Menschen Hoerigkeit
aber ihre demütige Art zog ihm das Herz seltsam zusammen. Armes Ding. Er erinnerte sich wohl, was sie gewesen war, als er sie kennenlernte. Er zögerte einen Augenblick.
»Glaub nicht etwa, dass ich nur dir einen Gefallen tue«, sagte er. »Es ist eine einfache Geschäftsabmachung. Ich gebe dir Essen und Wohnung als Gegenleistung für deine Arbeit. Du schuldest mir nichts. Und da ist nichts Demütigendes für dich dabei.«
Sie antwortete nicht, aber die Tränen liefen ihr über die Wangen. Philip wusste aus seiner Erfahrung im Krankenhaus, dass Frauen ihrer Schicht Bedienung als etwas Erniedrigendes ansahen. Ohne dass er es wollte, erwachte ein Gefühl der Ungeduld in ihm; aber er schalt sich, denn sie war eben krank und müde. Er stand auf und half ihr, noch ein Gedeck aufzulegen. Die Kleine war inzwischen wach geworden, und Mildred hatte ihr schon einen Brei zurechtgemacht. Leber und Speck waren fertig, und sie setzten sich hin. Aus Sparsamkeit trank Philip nur Wasser, aber er hatte eine halbe Flasche Whisky im Hause und meinte, es würde Mildred guttun, ein bisschen davon zu trinken. Er versuchte, das Abendessen nach besten Kräften vergnügt zu gestalten, aber Mildred war matt und erschöpft. Als sie fertig waren, stand sie auf, um die Kleine zu Bett zu bringen.
»Ich glaube, für dich ist es auch am besten, wenn du zeitig schlafen gehst«, sagte Philip. »Du siehst völlig erledigt aus.«
»Das werde ich wohl auch tun, wenn ich abgewaschen habe.«
Philip zündete sich die Pfeife an und begann zu lesen. Es war ein angenehmes Gefühl, nebenan jemanden zu hören. Seine Einsamkeit hatte ihn manches Mal bedrückt. Mildred kam und räumte ab; dann hörte er Tellergeklapper, als sie abwusch. Philip musste bei dem Gedanken lächeln, dass sie das alles in einem schwarzen Seidenkleid tat; es war so typisch für sie. Aber er hatte zu arbeiten und holte sich ein Buch. Bald darauf erschien Mildred und rollte sich die Ärmel herunter. Philip sah sie kurz an, regte sich aber nicht weiter. Es war eine eigenartige Situation, und er war ein wenig nervös. Er fürchtete, dass Mildred sich einbilden könnte, er würde sie belästigen, und wusste nicht recht, wie er sie in dieser Hinsicht beruhigen sollte, ohne brutal zu erscheinen.
»Übrigens habe ich um neun eine Vorlesung; ich hätte also gern um Viertel nach acht mein Frühstück. Geht das?«
»O ja. Als ich noch in Parliament Street war, musste ich jeden Morgen früh um acht Uhr zwölf mit dem Zug von Herne Hill weg.«
»Ich hoffe, du wirst dich in deinem Zimmer behaglich fühlen. Du wirst ein ganz neuer Mensch sein, wenn du erst einmal eine ganze Nacht gut geschlafen hast.«
»Du arbeitest wahrscheinlich bis spät?«
»Ich arbeite gewöhnlich bis elf, halb zwölf.«
»Dann also: Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Der Tisch stand zwischen ihnen. Er bot ihr nicht die Hand zum Gutenachtsagen. Sie schloss die Tür still hinter sich. Er hörte, wie sie im Schlafzimmer umherging, und nach einer Weile hörte er, wie das Bett knarrte, als sie sich niederlegte.
92
Der folgende Tag war ein Dienstag. Philip schlang wie gewöhnlich eilig sein Frühstück hinunter und raste davon, um um neun in der Vorlesung zu sein. Er konnte nur eben ein paar Worte mit Mildred wechseln. Als er am Abend nach Hause kam, saß sie am Fenster und stopfte seine Socken.
»Du bist ja wirklich fleißig«, sagte er lächelnd. »Was hast du den Tag über getrieben?«
»Oh, erst habe ich einmal gründlich saubergemacht, und dann habe ich die Kleine ein bisschen an die frische Luft gebracht.«
Sie trug ein altes schwarzes Kleid, das gleiche, das sie als Dienstkleidung in der Teestube getragen hatte; es war schäbig, aber sie sah darin besser aus als in dem seidenen, das sie am Tag zuvor anhatte. Das Kind saß auf dem Boden. Es sah Philip mit großen, geheimnisvollen Augen an und lachte auf, als Philip sich zu ihm setzte und mit seinen kleinen nackten Zehen spielte. Die Nachmittagssonne schien ins Zimmer und tauchte alles in mildes Licht.
»Es ist eigentlich sehr nett, nach Hause zu kommen und jemanden vorzufinden. Eine Frau und ein Kind sind ein schöner Schmuck für ein Zimmer.«
Er war in der Hospitals-Apotheke gewesen und hatte Blauds Pillen geholt. Er gab sie Mildred und wies sie an, nach jeder Mahlzeit welche einzunehmen. Es war ein Mittel, an das sie gewöhnt war, denn sie hatte es seit ihrem sechzehnten Jahr immer wieder nehmen müssen.
»Lawson würde der grünliche Ton deiner Haut
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