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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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leben; wenn Macalister ihm noch einmal einen guten Tipp gab, würde sich das gewiss leicht einrichten lassen. Das Herz wurde ihm warm bei dem Gedanken an die schönen, alten Städte dort und an die braunen Ebenen von Kastilien. Er war überzeugt, dass man mehr vom Leben haben konnte, als es gegenwärtig bot, und er glaubte, er würde in Spanien ein viel intensiveres Leben führen; vielleicht könnte er in einer der alten Städte praktizieren. Es gab dort überall eine ganze Menge Ausländer, die entweder dort wohnten oder die dort zu Besuch waren. Es müsste doch möglich sein, sich sein Leben dort zu verdienen. Das würde jedoch erst viel später sein können; zuerst musste er einmal ein paar Stellungen als Hospitalsarzt gehabt haben, um die nötigen Erfahrungen zu sammeln. Er hatte den Wunsch, als Schiffsarzt eine Kajüte auf einem der großen Frachtschiffe zu erhalten, die gemächlich ihre Tour unternahmen, so dass man ein wenig von den Orten zu sehen bekam, an denen sie anlegten. Er wollte unbedingt in den Fernen Osten. In seiner Phantasie spiegelte sich der Reichtum der Bilder: Bangkok, Schanghai, die japanischen Häfen; er sah sich schon unter Palmen, unter blauem, heißem Himmel, mit dunkelhäutigen Menschen, Pagoden; die Düfte des Orients zogen berauschend an seine Nase. Sein Herz schlug voll leidenschaftlicher Sehnsucht nach der Schönheit und den Wundern der weiten Welt.
    Mildred wachte auf.
    »Ich glaube, ich habe wahrhaftig geschlafen«, sagte sie. »Du unartiges Ding, was hast du denn gemacht? Gestern war ihr Kleid noch ganz sauber, und sieh es dir jetzt an, Philip.«
    95
     
    Nachdem sie nach London zurückgekehrt waren, begann Philip mit seiner Arbeit in der chirurgischen Abteilung. Chirurgie interessierte ihn nicht so sehr wie innere Medizin, da Letztere seiner Phantasie weiteren Spielraum ließ. Die Arbeit selbst war etwas schwerer als in der inneren Abteilung. Von neun bis zehn Uhr hatte er eine Vorlesung, dann ging es in die Krankensäle; dort mussten Wunden verbunden, Fäden gezogen und Verbände erneuert werden. Philip war ein wenig stolz auf seine Geschicklichkeit beim Verbinden, und es machte ihm Spaß, der Schwester gelegentlich ein anerkennendes Wort abzuringen. An bestimmten Nachmittagen der Woche fanden die Operationen statt. Er stand im weißen Mantel beim Operationstisch, um dem operierenden Arzt Instrumente zu reichen oder mit dem Schwamm Blut abzuwischen, damit der Chirurg sehen konnte, woran er war. Wenn eine seltene Operation vorgenommen wurde, füllte sich der Operationssaal, gewöhnlich jedoch war nur ein halbes Dutzend Studenten anwesend, dann hatte alles eine Intimität, die Philip sehr schätzte. Zu dieser Zeit schien die ganze Welt eine Vorliebe für Blinddarmentzündungen zu haben, und zu seinem Leidwesen wurden viele Fälle operiert. Der Chirurg, für den Philip verband, stand in freundlicher Konkurrenz mit einem Kollegen, wer in kürzerer Zeit und mit dem kleinsten Schnitt einen Appendix entfernen konnte.
    Nach einiger Zeit kam Philip, wie vorgesehen, auf die Unfallstation. Die Praktikanten wechselten einander dabei ab; es dauerte drei Tage, und während dieser Zeit wohnten sie im Hospital und nahmen ihre Mahlzeiten gemeinsam ein. Sie hatten einen Raum im Parterre neben der Unfallstation. In diesem befand sich ein aufklappbares Schrankbett. Der diensthabende Praktikant musste Tag und Nacht bei der Hand sein, um sich um die eingelieferten Unglücksfälle zu kümmern. Man war die ganze Zeit über auf den Beinen, und es vergingen höchstens zwei Stunden, bis die Glocke über dem Kopf wieder schrillte, so dass man sofort instinktiv aus dem Bett sprang. Samstagabends war natürlich die anstrengendste Zeit und die Sperrstunde der Wirtshäuser die anstrengendste Stunde. Männer mit Alkoholvergiftung wurden von der Polizei hereingebracht, und man musste ihnen den Magen auspumpen. Frauen, oft ebenfalls recht angetrunken, kamen mit Kopfwunden herein oder mit blutigen Nasen, die ihnen ihre Männer verpasst hatten. Einige wollten Anzeige erstatten, andere behaupteten, es sei ein Unfall gewesen. Was der Assistent allein tun konnte, tat er, aber war ein Fall schwieriger, ließ er den Anstaltsarzt kommen. Er tat dies mit Vorsicht, denn der Anstaltsarzt hatte es nicht gern, fünf Treppen umsonst hinuntergehetzt zu werden. Die Fälle reichten vom aufgeschnittenen Finger bis zur aufgeschnittenen Kehle. Burschen kamen, die sich die Finger an einer Maschine zerfetzt hatten, Männer, die von

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