Der Menschen Hoerigkeit
Mittelpunkt des Interesses, da ihn seine Eltern, Landadel in sehr guten Verhältnissen, ausgestoßen hatten, weil er heiratete, als er noch Student war; und Mildreds Vater, der ein großes Anwesen irgendwo in Devonshire besaß, wollte ihnen auch nicht helfen, weil sie Philip geheiratet hatte. Deshalb hatten sie in einer Pension absteigen müssen und konnten sich für das Kleine keine Pflegerin leisten; aber sie brauchten zwei Zimmer, denn sie waren an Bequemlichkeit gewöhnt und wollten nicht beengt wohnen. Die anderen Gäste hatten ebenfalls Erklärungen dafür, warum sie ausgerechnet hier waren. Einer der ledigen älteren Herren ging in den Ferien gewöhnlich ins Metropol, aber er mochte fröhliche Gesellschaft gern, und das konnte man in diesen teuren Hotels nicht haben. Und die alte Dame mit der altjüngferlichen Tochter ließ zur Zeit ihr schönes Haus in London renovieren, und da hatte sie denn zu ihrer Tochter gesagt: »Gwennie, meine Liebe, in diesem Jahr müssen wir billig reisen«, und so waren sie denn hierhergegangen, obwohl es eigentlich nicht das war, woran sie sonst gewöhnt waren. Mildred fand sie alle sehr nobel; gemeine, grobe Menschen konnte sie nicht ausstehen. Gentlemen sollten Gentlemen sein in jedem Sinn des Wortes.
»Wenn Menschen Gentlemen und Ladys sind«, sagte sie, »so will ich, dass sie wirklich Gentlemen und Ladys sind.«
Die Bemerkung schien Philip unklar, aber als er sie diese zwei- oder dreimal zu verschiedenen Personen sagen hörte und feststellte, dass diese aufrichtig zustimmten, kam er zu dem Schluss, dass sie nur für ihn unverständlich war. Zum ersten Mal waren Mildred und Philip völlig aufeinander zurückgeworfen. In London sah er sie den ganzen Tag über nicht, und der Haushalt, das Kind und die Nachbarn gaben ihnen, wenn er nach Hause kam, genug Gesprächsstoff, bis er sich dann an die Arbeit machte. Jetzt war er den ganzen Tag mit ihr zusammen. Nach dem Frühstück gingen sie miteinander ans Meer, und der Vormittag verging schnell genug; man badete und schlenderte den Strand entlang; auch der Abend war erträglich, der, wenn das Kind zu Bett gebracht war, auf dem Pier verbracht wurde. Man konnte der Musik zuhören und die Menge beobachten, die unablässig vorüberströmte. (Philip unterhielt sich damit, sich vorzustellen, wer die Leute sein mochten, und dichtete dann kleine Geschichten um sie herum. Er hatte sich angewöhnt, auf Mildreds Bemerkungen nur mit den Lippen zu antworten, ohne dass dadurch seine Gedanken gestört wurden.) Die Nachmittage jedoch waren lang und trostlos. Sie saßen am Strand. Mildred sagte, sie müssten von Brightons gesundem Klima so viel wie irgend möglich profitieren, und er konnte nicht lesen, weil Mildred so häufig irgendwelche Betrachtungen über die Dinge im Allgemeinen anstellte. Achtete er nicht auf sie, so beklagte sie sich.
»Ach, lass doch das dumme alte Buch! Es tut dir bestimmt nicht gut, dass du in einem fort liest, Philip. Damit verdirbst du dir nur den Kopf.«
»Ach, Unsinn«, antwortete er.
»Außerdem ist es so ungesellig.«
Er fand, dass es schwierig war, mit ihr zu reden. Sie konnte nicht einmal bei ihren eigenen Gedanken bleiben, ein Hund, der an ihr vorbeilief, ein Mann in greller Flanelljacke entlockten ihr einen Kommentar, und darüber vergaß sie dann, worüber sie eben gesprochen hatte. Sie hatte ein schlechtes Namensgedächtnis, und es ärgerte sie, wenn sie sich nicht erinnern konnte, so dass sie mitten in einer Geschichte eine Pause machte, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Manchmal musste sie es aufgeben, häufig aber fiel ihr der Name schließlich doch ein, und wenn Philip dann gerade über etwas sprach, unterbrach sie ihn.
»Collins, richtig. Ich wusste ja, er würde mir schon wieder einfallen. Collins, das ist der Name, an den ich mich nicht erinnern konnte.«
Es ging ihm auf die Nerven, denn es zeigte, dass sie nie zuhörte; schwieg er jedoch, so warf sie ihm vor, er sei mürrisch. Ihr Geist war so beschaffen, dass sie keine fünf Minuten lang abstrakt denken konnte, und sobald Philip einmal seiner Liebe zum Abstrahieren und Verallgemeinern nachgab, ließ sie ihn bald merken, dass es sie langweilte. Mildred träumte viel und hatte ein sehr genaues Gedächtnis für ihre Träume. Täglich erzählte sie sie Philip sehr ausführlich.
Eines Morgens erhielt er einen langen Brief von Thorpe Athelny. Er verbrachte die Ferien in der dramatischen Art, die typisch für ihn war, und in der trotz allem immer
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