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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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sich zu Lawson ins Atelier begeben, ehe der zum Lunch ausging; so lenkte er also seine Schritte die Brompton Road entlang auf die Yeoman’s Row zu.
    »Ich bin ziemlich knapp bei Kasse, bis gegen Ende des Monats«, sagte er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. »Könntest du mir nicht zehn Shilling borgen?«
    Es war unglaublich, wie schwer es ihm wurde, jemanden um Geld zu bitten. Wie oft hatten Leute im Hospital ihn um kleine Summen angegangen, so ganz nebenbei, als täten sie ihm noch einen Gefallen. Sie hatten niemals daran gedacht, das Geld zurückzugeben.
    »Wüsste nicht, was ich lieber täte«, sagte Lawson.
    Als er dann aber in die Tasche griff, fanden sich nur noch acht Shilling. Philip wurde kleinlaut.
    »Na schön. Borg mir fünf Shilling, geht das?«, sagte er leichthin.
    »Da sind sie.«
    Philip suchte die Badeanstalt in Westminster auf und gab einen halben Shilling für ein Bad aus. Dann ging er etwas essen. Er wusste nicht, was er den ganzen Nachmittag lang mit sich anfangen sollte. Er wollte nicht zum Hospital zurückkehren, da er fürchtete, man könnte ihm dort Fragen stellen; außerdem, was sollte er da noch? In den zwei oder drei Abteilungen, in denen er zu arbeiten hatte, würde man sich wundern, warum er nicht erschien. Mochten sie denken, was sie wollten, es war gleichgültig. Er war gewiss nicht der erste Student, der plötzlich verschwand. Er ging in die Volksbibliothek und schaute sich Zeitungen an, bis er dessen müde war; dann entlieh er sich Stevensons Neue arabische Nächte. Er war nicht imstande zu lesen; die Worte bedeuteten ihm nichts. Er brütete weiter über seine hilflose Lage. Seine Gedanken kreisten immer um die gleichen Dinge, und diese zähen Gedanken verursachten ihm Kopfweh. Schließlich ging er in den Green Park und legte sich dort ins Gras, denn er dürstete nach frischer Luft. Er dachte voll Trauer an sein Gebrechen, das ihn daran hinderte, in den Krieg zu ziehen. Er schlief ein und träumte, dass sein Fuß gesund wäre und er draußen im Freiwilligenregiment am Kap stünde. Die Bilder aus den illustrierten Blättern, die er sich angeschaut hatte, gaben seiner Phantasie reichlich Nahrung. Er sah sich in Khakiuniform auf dem Weideland mit andern Männern um ein Feuer sitzen. Als er aufwachte, war es noch ziemlich hell; gleich darauf schlug die Uhr von Big Ben sieben. Zwölf Stunden lagen vor ihm, in denen er nichts tun konnte. Ihm graute vor der endlosen Nacht. Der Himmel war trübe, und er fürchtete, es würde regnen. Er musste sich eine Herberge suchen, an Laternenpfählen in Lambeth hatte er welche angepriesen gesehen: Gute Betten, einen halben Shilling. Er war noch nie in einer Herberge gewesen, und ihm graute vor dem widerlichen Gestank und dem Ungeziefer. Er entschloss sich, wenn irgend möglich im Freien zu bleiben. Er blieb im Park, bis er geschlossen wurde, und wanderte dann umher. Er war sehr müde. Der Gedanke fuhr ihm durch den Kopf, wie angenehm jetzt ein Unfall wäre. Dann würde man ihn ins Hospital bringen, und dort könnte er wochenlang in einem sauberen Bett liegen. Gegen Mitternacht war er so hungrig, dass er es nicht mehr aushielt. Er ging zu einem Imbiss am Hyde Park Corner, aß ein paar Kartoffeln und trank dazu eine Tasse Kaffee. Dann wanderte er weiter. Er war zu unruhig, um schlafen zu können; außerdem fürchtete er sich vor der Polizei. Er betrachtete nun die Polizisten mit ganz andern Augen als früher. Das war die dritte Nacht, die er draußen zubrachte. Hin und wieder setzte er sich auf eine Bank in Piccadilly, und gegen Morgen ging er zum Quai hinunter. Er lauschte auf den Schlag der Uhr von Big Ben, der alle Viertelstunden die Zeit verkündete, und rechnete aus, wie lange es noch dauern würde, bis die Stadt wieder erwachte. Am Morgen gab er ein paar Kupfermünzen aus, um sich sauber zu machen und in Ordnung zu bringen, kaufte eine Zeitung, um die Annoncen zu lesen, und machte sich wieder auf die Suche nach Arbeit.
    So trieb er es mehrere Tage. Er aß sehr wenig und begann, sich schwach und elend zu fühlen, so dass er kaum mehr genug Energie aufbrachte, sich nach Arbeit umzusehen, die so verzweifelt schwer zu haben war. Er hatte sich nun bereits daran gewöhnt, in langer Reihe vor den Hintereingängen der Läden zu stehen in der Hoffnung auf eine Anstellung, und ebenso sehr an die knappen Ablehnungen. Er lief in alle Teile Londons, um sich auf eine Annonce hin zu bewerben. Er kannte einige Menschen, die sich so ergebnislos wie er um

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