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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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schrecklicher als vorher, wo er allein und einsam draußen gewesen war. Er redete sich immer wieder gut zu, wie viele außer ihm die Nacht im Freien zubringen mussten. Er versuchte sich durch Reden abzulenken, aber mitten im Wort schlug ein Regenguss gegen das Fenster und ließ ihn aufzucken.
    »Ich habe das Märzwetter gern«, sagte Athelny. »Kein Tag heute, an dem man über den Kanal fahren möchte.«
    Bald darauf waren sie mit dem Essen fertig, und Sally kam herein, um abzuräumen.
    »Wollen Sie eine der billigen Zigarren rauchen?«, sagte Athelny und reichte ihm eine.
    Philip nahm sie und inhalierte den Rauch mit Genuss. Es beruhigte ihn unsagbar. Als Sally abgedeckt hatte, sagte ihr Athelny, sie möchte die Tür hinter sich schließen.
    »So, jetzt werden wir nicht gestört«, sagte er, sich an Philip wendend. »Ich habe mit Betty abgemacht, dass sie die Kinder nicht eher hereinkommen lässt, bis ich sie rufe.«
    Philip sah ihn mit verwundertem Blick an, ehe er jedoch die Bedeutung dieser Worte erfassen konnte, fuhr Athelny fort, nachdem er sich erst mit der ihm eigenen Geste die Brille aufgesetzt hatte:
    »Ich schrieb Ihnen am letzten Sonntag und fragte an, ob Ihnen etwas fehlte, und da Sie nicht antworteten, bin ich dann am Mittwoch zu Ihrer Wohnung gegangen.«
    Philip wandte den Kopf ab und antwortete nicht. Sein Herz schlug heftig. Athelny sprach nicht, und das Schweigen schien Philip unerträglich. Er fand kein Wort, das er hätte sagen können.
    »Ihre Wirtin sagte mir, dass Sie seit Samstagabend nicht mehr dort gewesen waren und dass Sie ihr den letzten Monat schuldig geblieben wären. Wo haben Sie die ganze Woche über geschlafen?«
    Philip fiel die Antwort schwer. Er starrte aus dem Fenster.
    »Nirgends.«
    »Ich habe Sie gesucht.«
    »Warum?«, fragte Philip.
    »Betty und ich sind seinerzeit auch so pleite gewesen, nur hatten wir Kinder zu versorgen. Warum sind Sie nicht zu uns gekommen?«
    »Ich konnte nicht.«
    Philip fürchtete, in Tränen auszubrechen. Er fühlte sich sehr schwach. Er schloss die Augen und zog die Stirne kraus. Er versuchte seine Selbstbeherrschung zu bewahren. Er war plötzlich böse auf Athelny; warum ließ man ihn nicht in Ruhe? Aber er war am Ende. Bald darauf erzählte er ihm, mit noch immer geschlossenen Augen, langsam die Geschichte seiner Abenteuer der letzten Wochen. Er versuchte seine Stimme ruhig klingen zu lassen. Während er sprach, erschien ihm sein Verhalten doppelt töricht. Das machte es noch schwerer weiterzureden. Musste Athelny ihn nicht für einen ausgemachten Narren halten?
    »Sie werden jetzt also zu uns ziehen und hier wohnen, bis Sie Arbeit haben«, sagte Athelny, als er fertig war.
    Wieder errötete Philip, ohne recht zu wissen, warum eigentlich.
    »Ach, das ist schrecklich nett von Ihnen, aber ich glaube, das geht nicht.«
    »Wieso nicht?«
    Philip antwortete nicht. Er hatte aus dem instinktiven Gefühl abgelehnt, ihnen nicht zur Last fallen zu wollen. Es fiel ihm von Natur aus schwer, Wohltaten anzunehmen. Außerdem wusste er, dass die Athelnys von der Hand in den Mund lebten, mit ihrer großen Familie hatten sie weder Raum noch Geld, einen Fremden aufzunehmen.
    »Selbstverständlich müssen Sie zu uns kommen«, sagte Athelny. »Thorpe schläft bei einem seiner Brüder, und Sie können in seinem Bett schlafen. Sie glauben doch nicht etwa, dass das bisschen, was Sie essen, etwas ausmacht?«
    Philip scheute sich, etwas zu sagen, und Athelny ging zur Tür und rief seine Frau.
    »Betty«, sagte er, als sie hereinkam, »Mr.   Carey wird bei uns wohnen.«
    »Ach, das ist aber nett«, sagte sie. »Da will ich gleich sein Bett zurechtmachen gehen.«
    Ihre Stimme klang so herzlich und freundlich, so ganz selbstverständlich, dass Philip tief gerührt war. Er erwartete nie von jemandem Freundlichkeiten, war jemand nett zu ihm, so überraschte und bewegte es ihn. Er konnte nicht verhindern, dass ihm zwei große Tränen die Backen hinunterliefen. Die Athelnys besprachen, was zu tun war, und taten so, als merkten sie gar nicht, in welchen Zustand seine Schwäche ihn gebracht hatte. Als Mrs.   Athelny wieder ging, lehnte Philip sich in seinem Stuhl zurück, sah aus dem Fenster und lachte leise.
    »Es ist keine schöne Nacht, um im Freien zu bleiben, nicht wahr?«
    102
     
    Athelny sagte Philip, dass er ihm leicht bei der großen Firma, bei der er angestellt war, Arbeit beschaffen könne. Etliche Verkäufer waren in den Krieg gegangen. Lynn and Sedley hatten aus

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