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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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kannte die dafür notwendigen Ausdrücke nicht. Er konnte weder stenographieren noch Maschine schreiben. Er sah selbst ein, sein Fall war hoffnungslos. Er spielte mit dem Gedanken, sich an den Testamentsvollstrecker seines Vaters zu wenden, aber das brachte er nicht über sich, denn er hatte gegen den Willen des Anwalts gehandelt, als er seine Hypotheken verkaufte. Durch seinen Onkel wusste er, dass Mr.   Nixon sehr unzufrieden mit ihm war. Seit Philips Jahr im Büro des Bücherrevisors hielt er ihn für faul und untüchtig.
    »Lieber will ich verhungern«, murmelte Philip vor sich hin.
    Ein paarmal kam ihm der Gedanke an Selbstmord. Er konnte sich leicht etwas aus der Krankenhausapotheke besorgen; es wäre ein Trost, etwas in Händen zu haben, mit dem er sich im schlimmsten Fall ein schmerzloses Ende bereiten konnte. Es war jedoch kein Ausweg, an den er ernsthaft dachte. Damals, als Mildred ihn wegen Griffith verließ, war sein Kummer so groß gewesen, dass er sterben wollte, um all den Schmerz loszuwerden. Das Gefühl, das ihn jetzt bewegte, war mit dem von damals nicht vergleichbar. Es fiel ihm ein, dass die Schwester auf der Unfallstation gesagt hatte, dass sich die Menschen eher des Geldes als der Liebe wegen umbrachten. Er kicherte, als er daran dachte, dass er eine Ausnahme darstellte. Er hatte nur den einen Wunsch, mit jemandem über seine Sorgen zu reden, aber er wollte sie niemandem gestehen. Er schämte sich. Er sah sich weiter nach Arbeit um. Er blieb drei Wochen lang mit seiner Miete im Rückstand und erklärte seiner Wirtin, dass er am Ende des Monats Geld bekommen würde. Sie sagte nichts dazu, zog jedoch die Stirn kraus und sah ihn finster an. Als das Monatsende da war, fragte sie ihn, ob er wohl jetzt seine Rechnung begleichen oder eine Anzahlung leisten könne, und es machte ihn ganz krank, dass er ihr sagen musste, er habe kein Geld. Er beruhigte sie, er würde seinem Onkel schreiben, der sicherlich bis zum nächsten Samstag seine Verpflichtungen einlösen würde.
    »Na, hoffentlich tun Sie das, Mr.   Carey. Ich muss auch meine Miete bezahlen, und ich kann es mir nicht leisten, Rechnungen offen zu lassen.« Es war kein Ärger in ihrer Stimme, als sie das sagte, aber eine Bestimmtheit, die Philip erschreckte. Nach einer kleinen Pause sagte sie dann: »Wenn Sie am nächsten Samstag nicht bezahlen, muss ich mich leider beim Sekretär des Hospitals beschweren.«
    »Ja, ja, es wird schon in Ordnung gehen.«
    Sie sah ihn an und schaute sich dann in dem kahlen Zimmer um. Ohne Nachdruck, als wäre es das Natürlichste der Welt, fuhr sie fort: »Ich habe ein schönes, heißes Lendenstück unten; wenn Sie Lust haben, in die Küche hinunterzukommen, so sind Sie herzlich eingeladen mitzuessen.«
    Philip fühlte, wie er über und über rot wurde; die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
    »Danke vielmals, Mrs.   Higgins, aber ich habe keinen Hunger.«
    »Wie Sie meinen.«
    Als sie gegangen war, warf sich Philip auf das Bett. Er musste die Fäuste ballen, um nicht laut loszuschluchzen.
    100
     
    Samstag. Der Tag, an dem er, seinem Versprechen gemäß, der Wirtin die Miete bezahlen sollte. Er hatte darauf gewartet, dass irgendetwas im Laufe der Woche geschehen würde. Er hatte keine Arbeit gefunden. Noch niemals zuvor war er so in die Enge getrieben gewesen. Er war so benommen, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Manchmal schien ihm alles nur ein schlechter Scherz. Er hatte nur noch ein paar Kupfermünzen übrig. Alle Kleider, die er nur halbwegs entbehren konnte, waren auf dem Leihhaus. Er besaß ein paar Bücher und sonstige Kleinigkeiten, die ihm vielleicht noch einen oder zwei Shilling eingebracht hätten. Die Wirtin passte jedoch genau auf, wenn er ging oder kam; er hatte Angst, sie würde ihn anhalten, wenn er noch etwas aus dem Zimmer holte. Das Einzige, was ihm zu tun blieb, war, der Wirtin reinen Wein einzuschenken und ihr zu sagen, dass er seine Rechnung nicht bezahlen könne. Er besaß den Mut nicht dazu. Es war Mitte Juni. Die Nacht war klar und milde. Er entschloss sich, draußen zu bleiben. Er ging am Chelsea Quai entlang; der Fluss wirkte beruhigend in seiner Stille. Als Philip müde war, setzte er sich auf eine Bank und nickte ein. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, und fuhr mit einem Ruck hoch. Er hatte geträumt, dass ein Polizist ihn schüttelte und ihm befahl weiterzugehen. Als er die Augen öffnete, sah er, dass er allein war. Er nahm seinen Spaziergang von neuem auf, warum,

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