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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Waschraum. Er war ziemlich geräumig, mit acht in einer Reihe angebrachten Becken. Hier hatten sich alle Insassen zu waschen. Von da aus kam man in einen zweiten Raum, in dem sich zwei Badewannen befanden. Sie waren fleckig, und die Holztäfelung war voll Seifenspritzer. Die Wannen wiesen dunkle Schmutzringe auf, die die jeweilige Wasserhöhe verschiedener Bäder kennzeichneten.
    Als Harris und Philip in ihr Schlafzimmer zurückkamen, fanden sie einen großen Mann vor, der gerade die Kleider wechselte, und ein sechzehnjähriger Junge bürstete sich das Haar, wozu er pfiff, so laut er nur konnte. Ein paar Minuten später ging der große Mann, ohne mit jemandem ein Wort zu wechseln. Harris zwinkerte dem Jungen zu, der zwinkerte zurück, ohne mit dem Gepfeife aufzuhören. Harris erzählte Philip, dass der Mann Prior hieße. Er war beim Militär gewesen und arbeitete nun in der Seidenabteilung. Er blieb ziemlich für sich und ging jede Nacht, einfach so, ohne auch nur so viel wie guten Tag zu sagen, zu seinem Mädchen. Auch Harris ging aus, und nur der Junge blieb da und sah neugierig zu, wie Philip seine Sachen auspackte. Sein Name war Bell, und er machte seine Lehrlingszeit in der Kurzwarenabteilung. Philips Abendanzüge interessierten ihn sehr. Er erzählte ihm von den andern, die mit ihnen das Zimmer teilten, und fragte ihn nach allen möglichen persönlichen Dingen. Es war ein fröhlicher Bursche, in den Gesprächspausen sang er Schlagerfetzen. Philip ging hinaus, als er fertig war, um ein bisschen auf den Straßen herumzubummeln und die Menschen zu beobachten. Gelegentlich blieb er vor Restaurants stehen und sah den Leuten zu, die hineingingen. Er war hungrig und kaufte sich schließlich eine Semmel, die er im Weitergehen aß. Der Heimleiter hatte ihm einen Korridorschlüssel gegeben. Um Viertel nach elf wurde das Gas abgedreht und die Haustür abgesperrt, deshalb kehrte Philip rechtzeitig zurück, um nicht vor verschlossenen Türen zu stehen. Er hatte bereits vom Strafgeldsystem erfahren. Wer nach elf Uhr abends kam, musste einen Shilling zahlen, nach Viertel nach elf kostete es eine halbe Krone, außerdem wurde man gemeldet. Geschah das dreimal, so war man entlassen.
    Bis auf den Soldaten waren bereits alle da, als Philip ankam, zwei lagen schon im Bett. Philip wurde mit Zurufen empfangen.
    »O Clarence, unartiger Junge.«
    Er entdeckte, dass Bell seinen Frack mit dem Kopfpolster ausgestopft hatte. Der Junge war von seinem Scherz begeistert.
    »Du musst ihn an unserem Festabend anziehen, Clarence.«
    »Er wird die Schönheitskönigin von Lynn erobern, wenn er nicht aufpasst.«
    Philip hatte von den Festabenden bereits gehört, denn die Summe, die dafür von dem Lohn einbehalten wurde, war eine Quelle ständigen Ärgers für die Angestellten. Sie betrug zwar nur zwei Shilling im Monat und deckte gleichzeitig den Betrag für die ärztliche Betreuung und für die Benutzung einer Bibliothek, die aus abgegriffenen Romanen bestand. Da jedoch außerdem noch monatlich vier Shilling für die Wäsche abgezogen wurden, stellte Philip fest, dass ein Viertel seines Wochengehaltes von sechs Shilling nicht ausbezahlt werden würde.
    Die meisten waren gerade dabei, dicke Scheiben fetten Specks zu essen, den sie zwischen aufgeschnittene Brötchen geschoben hatten. Die belegten Brötchen bildeten gewöhnlich das Abendessen der Gehilfen, man kaufte sie in einem kleinen Laden ein paar Häuser weiter für zwei Pennys das Stück. Der Soldat kam zurück, zog sich eilig aus, ohne zu reden, und warf sich ins Bett. Zehn Minuten nach elf zuckte das Gas auf, und fünf Minuten später erlosch es. Der Soldat schlief ein, die anderen drängten sich jedoch in Pyjamas und Nachthemden an dem großen Fenster zusammen und warfen mit ihren Butterbrotresten nach vorübergehenden Frauen und riefen ihnen neckische Bemerkungen zu. Das gegenüberliegende, sechsstöckige Haus beherbergte eine jüdische Schneiderwerkstatt, die um elf Uhr Schluss machte. Die Zimmer waren hell erleuchtet und von keinen Jalousien geschützt. Die Tochter des Werkstattbesitzers – die Familie bestand aus Vater, Mutter, zwei kleinen Jungen und einem zwanzigjährigen Mädchen – ging nach Arbeitsschluss durch das ganze Haus und löschte das Licht. Gelegentlich ließ sie sich mit einem der Schneider auf ein Abenteuer ein. Die Ladengehilfen hatten viel Spaß daran, den einen oder andern zu beobachten, der herummanövrierte, um als Letzter bleiben zu können; sie wetteten, wer

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