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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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einziges Mal.«
    Ein kleiner Kreis sammelte sich um sie, und zwischen unterdrücktem Kichern, Erröten, Entsetzensschreien und Bewunderungsrufen sprach sie mysteriös von blonden und dunkelhaarigen Männern, von Geld in einem Brief und von Reisen, bis ihr der Schweiß in großen Perlen auf dem geschminkten Gesicht stand.
    »Schaut mich an«, sagte sie. »Ich bin ganz verschwitzt.«
    Das Essen begann um neun Uhr. Es gab Kuchen, Brötchen, belegte Brote, Tee und Kaffee; alles frei. Wenn man allerdings Mineralwasser trinken wollte, musste man es selbst bezahlen. Das Gesetz der Ritterlichkeit verpflichtete die jungen Herren, den Damen gelegentlich Malzbier anzubieten; anstandshalber aber mussten die jungen Damen dankend ablehnen. Miss Bennet hatte Malzbier sehr gern, und es war etliche Male vorgekommen, dass sie an diesen Abenden drei Flaschen getrunken hatte, aber sie bestand darauf, es selbst zu bezahlen. Die Herren mochten sie deshalb gern.
    »Sie ist ein komischer alter Vogel«, sagten sie, »aber das muss man schon sagen, ein übler Kerl ist sie nicht!«
    Nach dem Abendessen wurde Wechselwhist gespielt. Es war sehr laut, es gab viel Gelächter und Geschrei, während die Parteien die Plätze wechselten und zum nächsten Tisch vorrückten. Miss Bennet verging fast vor Hitze.
    »Sehen Sie sich das an«, sagte sie, »was ich zusammenschwitze.«
    Nach einer Weile merkte einer der flotteren jungen Herren an, wenn man tanzen wollte, wäre es wohl an der Zeit, den Anfang zu machen. Das Mädchen, das die Vorträge begleitet hatte, saß am Klavier und stellte voll Entschiedenheit den Fuß auf das laute Pedal. Sie spielte einen verträumten Walzer, wobei sie den Takt mit dem Bass angab, während ihre rechte Hand in verschiedenen Lagen herumklimperte. Zur Abwechslung kreuzte sie dann die Hände und spielte die Melodie mit dem Bass.
    »Sie spielt gut, das muss man ihr lassen«, sagte Mrs.   Hodges zu Philip, »und das, obwohl in ihrem ganzen Leben niemals Stunden genommen, alles nur nach Gehör!«
    Miss Bennet liebte Tanzen und Gedichte über alles in der Welt. Sie tanzte gut, aber sehr langsam. In ihre Augen trat dabei ein Ausdruck, als wäre sie mit ihren Gedanken weit, weit weg. Atemlos sprach sie vom Tanzen, der Hitze und dem Essen. Sie sagte, dass die Portmansäle die beste Tanzfläche in London hatten und ihr die Tanzveranstaltungen dort immer gefielen; sie waren sehr erlesen, und sie könne es nicht ertragen, mit irgendwelchen Männern zu tanzen, über die man gar nichts wisse; es könnte einem dabei ja alles Mögliche passieren. Fast alle tanzten gut und hatten viel Spaß dabei. Der Schweiß rann ihnen über das Gesicht, und die sehr hohen Kragen der jungen Leute wurden weich.
    Philip sah zu, er war so niedergeschlagen wie seit langem nicht. Er fühlte sich unsagbar einsam. Er ging nicht nach Hause, weil er Angst hatte, man könnte ihn für hochmütig halten. So sprach er mit den Mädchen und lachte mit ihnen, aber sein Herz war voll Traurigkeit. Miss Bennet fragte ihn, ob er auch ein Mädchen habe.
    »Nein«, sagte er lächelnd.
    »Na«, sagte sie, »hier gibt’s ja genug Auswahl. Und es sind sehr nette, anständige Mädchen dabei. Sie werden sicher eine finden; das dauert nicht lange.«
    Sie sah ihn ganz schelmisch an.
    »Man muss ihnen auf halbem Wege entgegenkommen«, meinte Mrs.   Hodges; »das habe ich ihm gesagt.«
    Es war fast elf Uhr, als sich die Gesellschaft auflöste. Philip konnte nicht einschlafen. Er streckte seine Füße wie die andern unter den Betttüchern hervor; sie schmerzten ihn sehr. Er versuchte mit aller Gewalt, nicht über das Leben, das er nun führte, nachzugrübeln. Der Soldat schnarchte ruhig.
    105
     
    Das Gehalt wurde einmal im Monat vom Sekretär ausbezahlt.
    Am Zahltag ging jede Gruppe der Gehilfen, wenn sie vom Tee herunterkam, in den Korridor und stellte sich an das Ende der Reihe, die ordentlich und geduldig wartete. Einer nach dem andern betrat das Büro. Der Sekretär saß an seinem Pult; er hatte Holzschalen mit Geld vor sich und fragte den Angestellten nach seinem Namen. Dann sah er schnell in einem Buch nach, warf einen argwöhnischen Blick auf den Gehilfen, sagte laut die Summe, die fällig war, und zahlte sie aus der Holzschale in die ausgestreckte Hand.
    »Danke«, sagte er. »Der Nächste.«
    »Danke schön«, war die Entgegnung.
    Dann ging der Gehilfe mit dem empfangenen Geld zum zweiten Sekretär, zahlte ihm vier Shilling für Waschgeld, zwei Shilling für den Klub und

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