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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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wohl der Sieger sein würde. Gegen Mitternacht wurden die Leute aus dem Harrington Arms, der Kneipe am Ende der Straße herausgeworfen, und dann legten sich auch die Gehilfen schlafen. Bell, der gleich neben der Tür schlief, sprang von Bett zu Bett, um zu seinem Schlafplatz zu gelangen. Er hörte selbst dann nicht zu reden auf, als er bereits in seinem Bett lag. Schließlich wurde alles still, man hörte nur das gleichmäßige Schnarchen des Soldaten. Philip schlief ein.
    Es wurde um sieben durch das schrille Gebimmel einer Glocke geweckt. Gegen drei viertel acht waren sie alle angezogen und stürzten in Strümpfen nach unten, um sich ihre Schuhe zu holen. Sie schnürten sie im Laufen zu, während sie zu dem Geschäft in der Oxford Street zum Frühstück rannten. Kamen sie auch nur eine Minute nach acht, so bekamen sie kein Frühstück mehr und durften das Haus auch nicht mehr verlassen, um draußen etwas zu essen. Manchmal, wenn sie wussten, dass sie das Haus nicht rechtzeitig zum Frühstück erreichen würden, kauften sie sich unterwegs in einem kleinen Laden ein paar Semmeln. Da das jedoch Geld kostete, liefen die meisten in einem solchen Falle bis Mittag mit leerem Magen umher. Philip aß ein paar Butterbrote und trank eine Tasse Tee. Um halb neun fing das Tagewerk wieder an.
    »Erst nach rechts. Zweites Stockwerk, links, gnädige Frau.«
    Er beantwortete die Fragen bald ganz mechanisch. Die Arbeit war monoton und äußerst ermüdend. Nach ein paar Tagen schmerzten ihm die Füße so, dass er kaum stehen konnte; sie brannten ihm auf den dicken, weichen Teppichen; es war ein schmerzhaftes Unterfangen, abends die Strümpfe auszuziehen. Alle klagten darüber, seine Kollegen sagten ihm, dass Strümpfe und Schuhe unter den Füßen wegfaulten, weil man ständig schwitzte. Alle in seinem Zimmer hatten das gleiche Leiden, sie versuchten, sich Erleichterung zu verschaffen, indem sie nachts beim Schlafen die Beine unter der Decke hervorstreckten. Zuerst konnte Philip überhaupt nicht mehr laufen; er musste den größten Teil seiner Abende im Wohnzimmer in der Harrington Street zubringen und die Beine in einen Eimer kalten Wassers halten. An diesen Abenden leistete Bell ihm oft Gesellschaft und sortierte seine Briefmarkensammlung. Während er sie vorsichtig auf dem Papier befestigte, pfiff er monoton vor sich hin.
    104
     
    Die Festabende fanden jeden zweiten Montag statt. Zu Beginn von Philips zweiter Woche bei Lynn gab es den ersten. Er verabredete sich mit einer Angestellten aus seiner Abteilung.
    »Man muss ihnen auf halbem Wege entgegenkommen«, sagte sie, »so wie ich es mache.«
    Mrs.   Hodges war eine kleine Frau von fünfundvierzig Jahren mit schlecht gefärbtem Haar. Sie hatte ein gelbliches Gesicht, über das ein ganzes Netz kleiner, roter Äderchen lief. Blassblaue Pupillen lagen in gelblichen Augäpfeln. Sie fand Gefallen an Philip und nannte ihn noch vor Ablauf einer Woche beim Vornamen. »Wir haben beide erfahren, was es heißt abzusteigen«, sagte sie.
    Sie erzählte Philip, dass ihr Name eigentlich nicht Hodges sei, sprach aber stets von ihrem ›Gatten Misterodges‹, der Rechtsanwalt sei und sie einfach schändlich behandelt habe; sie war dann von ihm fortgegangen, da sie es vorzog, unabhängig zu sein; aber sie wusste, was es hieß, im eigenen Wagen zu fahren, mein Lieber – sie nannte jedermann Lieber –, und sie hatten abends immer zu Hause gegessen. Sie hatte die Angewohnheit, mit der Nadel einer ungeheuren Silberbrosche in ihren Zähnen herumzustochern. Diese Brosche bestand aus zwei Jagdpeitschen, überkreuzt, und in der Mitte befanden sich zwei Sporen. Philip fühlte sich in seiner neuen Umgebung unbehaglich, und die Mädchen nannten ihn ›Prinzchen‹. Eine sprach ihn als Phil an, und er antwortete nicht, weil er überhaupt nicht bemerkt hatte, dass sie ihn meinte; sie warf daraufhin den Kopf zurück und sagte, dass er hochmütig sei, und das nächste Mal sprach sie ihn mit ironischem Nachdruck als Mister Carey an. Ihr Name war Miss Jewel, und sie wollte demnächst einen Arzt heiraten. Die anderen Mädchen hatten ihn nie gesehen, aber sie sagten, er müsse ein Gentleman sein, weil er ihr so nette Geschenke machte.
    »Machen Sie sich nichts draus, mein Lieber«, sagte Mrs.   Hodges. »Ich habe das alles ebenfalls durchmachen müssen. Sie verstehen es eben nicht besser. Glauben Sie mir, man wird Sie zu schätzen wissen, wenn Sie sich behaupten wie ich.«
    Der Gemeinschaftsabend wurde im

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