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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Restaurant im Kellergeschoss abgehalten. Die Tische wurden zur Seite geschoben, um Platz zum Tanzen zu machen; kleine Tischchen waren zum Kartenspielen bereitgestellt.
    »Die Leiter müssen zeitig da sein«, sagte Mrs.   Hodges.
    Sie stellte ihm Miss Bennet vor, die Schönheitskönigin von Lynn. Sie war Einkäuferin der Unterrockabteilung. Als Philip eintrat, sprach sie gerade mit dem Einkäufer für Herrenstrumpfwaren. Miss Bennet war eine Frau von stattlichen Proportionen, ihr Gesicht war groß und rot und stark gepudert, außerdem besaß sie einen Busen von imponierendem Umfang. Ihr flachsblondes Haar war mit großer Kunstfertigkeit arrangiert. Sie war auffallend angezogen, wenn auch nicht mit üblem Geschmack, ganz in Schwarz, mit hohem Kragen und schwarzen Glacéhandschuhen, die sie auch anbehielt, wenn sie Karten spielte. Um den Hals hatte sie mehrere schwere goldene Ketten geschlungen, und um ihr Handgelenk schlossen sich Armspangen. Sie trug eine schwarze Seidentasche mit sich und kaute Kaugummi.
    »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr.   Carey«, sagte sie. »Es ist wohl Ihr erster Besuch bei unseren Festabenden? Vermutlich fühlen Sie sich noch etwas fremd. Das brauchen Sie aber nicht.«
    Sie tat alles, was sie konnte, damit jeder sich wohl fühlte, schlug hier jemandem auf die Schulter, lachte mit einem andern herzhaft.
    »Bin ich nicht eine Tagediebin?«, rief sie neckisch, zu Philip gewandt. »Was müssen Sie nur von mir denken? Aber ich kann mir nun einmal nicht helfen.«
    Dann kamen die Teilnehmer des Festes, meistens die jüngeren Angestellten, Jungen, die noch keine Freundin hatten, und die Mädchen, die noch niemanden gefunden hatten, mit dem sie ›gehen‹ konnten. Verschiedene der jungen Herren trugen Straßenanzüge mit weißer Frackbinde und rotseidenen Taschentüchern; sie sollten etwas aufführen und traten mit beschäftigter und geistesabwesender Miene ein. Manche waren voll Selbstvertrauen, andere nervös und betrachteten ihre Zuhörer mit ängstlichen Augen. Bald darauf setzte sich ein Mädchen mit großem Haarschopf ans Klavier und ließ ihre Finger lärmend über die Tasten gleiten. Als die Zuhörer Platz genommen hatten, sah sie sich um und gab den Namen des Stückes bekannt, das sie spielen würde:
    »Schlittenfahrt in Russland.«
    Es wurde geklatscht, während sie Glöckchen an ihren Handgelenken befestigte. Sie lächelte ein wenig und brach unmittelbar darauf mit einer kraftvollen Melodie los. Als sie ihr Spiel beendet hatte, wurde noch weit mehr geklatscht, und nachdem der Applaus vorbei war, gab sie als Zugabe ein Stück zum Besten, das das Meer nachahmte. Kleine Triller stellten die an das Ufer schlagenden Wellen dar, und donnernde Akkorde, bei denen das rechte Pedal getreten wurde, deuteten den Sturm an. Dann sang ein Herr ein Lied, das Sag mir Lebwohl! hieß, und als Zugabe noch Sing mir ein Lied zur guten Nacht! Die Zuhörer maßen ihre Begeisterung mit feinem Unterscheidungsvermögen ab. Jeder bekam sein Maß Applaus, bis er eine Zugabe gab, und um niemanden neidisch zu machen, bekam keiner mehr als der andere.
    Miss Bennet gesellte sich zu Philip.
    »Ich bin mir sicher, Sie spielen oder singen auch, Mr.   Carey«, sagte sie schelmisch. »Ich sehe es Ihnen an.«
    »Leider nicht.«
    »Rezitieren Sie nicht einmal?«
    »Ich habe kein Redetalent.«
    Der Einkäufer für Herrenstrumpfwaren war ein bekannter Rezitator und wurde von allen seinen Gehilfen in der Abteilung laut genötigt, etwas zum Besten zu geben. Er brauchte nicht lange gedrängt zu werden und trug ein Gedicht mit tragischem Charakter vor. Er rollte dabei seine Augen, legte die Hand auf seine Brust und benahm sich, als befände er sich im Todeskampf. Die Pointe, dass er zu Mittag Gurken gegessen hatte, wurde in der letzten Zeile enthüllt und mit Gelächter begrüßt, lang und laut, ein wenig gezwungen allerdings, da jeder das Gedicht gut kannte. Miss Bennet sang weder, noch spielte oder rezitierte sie.
    »Ach nein, sie hat ihr eigenes kleines Spiel«, sagte Mrs.   Hodges.
    »Nun fangen Sie nicht an, mich zu necken. Tatsächlich weiß ich eine Menge übers Handlesen und Hellsehen.«
    »Lesen Sie mir doch aus der Hand, Miss Bennet«, riefen die Mädchen aus ihrer Abteilung, um ihr einen Gefallen zu tun.
    »Ich lese nicht gern aus der Hand, wirklich nicht. Ich habe manchen Leuten schreckliche Dinge prophezeit, und sie sind alle eingetroffen. So etwas macht abergläubisch.«
    »Ach, bitte, Miss Bennet, nur ein

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