Der Menschen Hoerigkeit
wandte sich ab. Philip versuchte sich einzuprägen, wo die eine und andere Abteilung war, und wartete ängstlich auf Kunden, die Auskunft wünschten. Um ein Uhr ging er zum Essen hinauf. Der Speisesaal lag im obersten Stock des riesigen Gebäudes; er war groß, lang und gut beleuchtet; alle Fenster waren jedoch verschlossen, um den Staub nicht hereinzulassen, und es herrschte ein schrecklicher Küchengeruch. Lange, gedeckte Tische standen da, mit Wasserkrügen darauf, und in der Mitte befanden sich Salznäpfchen und Essigkaraffen. Die Verkäufer drängten sich lärmend herein und setzten sich auf ihre Plätze, die noch von denen warm waren, die um halb eins gegessen hatten.
»Keine Pickles«, bemerkte der Mann, der neben Philip saß.
Es war ein schlanker junger Mensch, mit gebogener Nase und teigigem Gesicht. Er hatte einen langgestreckten Kopf, der ungleichmäßig gebaut war, als wäre hier ein Stück des Schädels ein- und dort herausgedrückt; auf seiner Stirn und auf dem Nacken waren große Stellen mit roter, entzündeter Akne. Er hieß Harris. Philip erfuhr, dass an manchen Tagen große Suppenteller voll Mixed Pickles auf den Tisch kamen. Sie waren sehr beliebt. Es lagen keine Messer und Gabeln da, aber eine Minute später erschien ein großer, fetter Junge in weißer Jacke, die Hände voller Bestecke, die er laut mitten auf den Tisch warf. Jeder nahm, was er brauchte; sie waren noch fettig und warm, man merkte, dass sie soeben erst in schmutzigem Wasser abgewaschen worden waren. Teller mit Fleisch, das in einer Sauce schwamm, wurden von Jungen in weißen Jacken herumgereicht. Sie schleuderten jeden Teller mit schneller Geste hin, wie Akrobaten, aber leider schwappte dabei die Sauce auf das Tischtuch. Dann wurden große Schüsseln mit Kohl und Kartoffeln gebracht. Beim bloßen Anblick drehte sich Philip der Magen um. Er bemerkte, wie alle große Mengen Essig darübergossen. Der Lärm war fürchterlich. Man schwatzte, lachte und schrie, dazwischen klapperten Messer und Gabeln, Ess- und Schmatzlaute vervollständigten das Konzert. Philip war froh, als er in seine Abteilung zurückkehren durfte. Er konnte sich schon jetzt besser merken, wo die einzelnen Abteilungen lagen, und brauchte die andern weniger oft zu fragen, wenn jemand kam und den Weg wissen wollte.
»Erst nach rechts. Zweiter Stock, links, gnädige Frau!«
Hin und wieder sprach eines der Mädchen mit ihm, nur ein gelegentliches Wort, wenn gerade nichts zu tun war. Er spürte, sie taxierten ihn. Um fünf Uhr wurde er wieder in den Speisesaal zum Tee geschickt. Er war froh, ein bisschen sitzen zu können. Es gab große Schnitten Brot, die dick mit Butter bestrichen waren, viele hatten dazu ihre eigene Marmelade vor sich in Töpfen, auf denen der Name des Besitzers stand.
Philip war völlig erschöpft, als um halb sieben die Arbeit zu Ende war. Harris, sein Tischnachbar, erbot sich, ihn zur Harrington Street hinüberzubringen, um ihm seinen Schlafplatz zu zeigen. Er sagte Philip, dass in seinem Zimmer ein Bett frei wäre, und da alle andern Zimmer besetzt seien, würde er wahrscheinlich dort untergebracht werden. Das Haus in Harrington Street hatte früher einem Schuhmacher gehört. Der ehemalige Laden wurde als Schlafraum benutzt. Es war recht dunkel, weil das Schaufenster zu drei Vierteln mit Brettern verschlagen war. Da man das Fenster nicht öffnen konnte, kam der einzige Luftzug von einem kleinen Oberlichtfenster am äußersten Ende. Es roch muffig, und Philip war dankbar, dass er nicht hier zu schlafen brauchte. Harris nahm ihn mit ins Wohnzimmer hinauf, das im ersten Stock lag. Dort stand ein altes Klavier, dessen Tasten wie eine Reihe stockiger Zähne aussahen; auf dem Tisch lag eine Zigarrenkiste. Der Deckel war abgerissen, und darin befand sich ein Spiel Dominosteine, außerdem lagen noch alte Ausgaben von The Strand Magazine oder The Graphic herum. Die andern Zimmer wurden als Schlafzimmer benutzt. Dasjenige, in dem Philip schlafen sollte, lag im obersten Stock. Es enthielt sechs Betten, und neben jedem Bett stand ein Koffer oder eine Kiste. Das einzige sonst noch vorhandene Möbelstück war eine Kommode mit vier großen und zwei kleinen Schubfächern. Philip erhielt als Neuankömmling eines der letzteren. Zu jedem war ein Schlüssel vorhanden, da sie aber alle gleich waren, hatten sie nicht viel Wert. Harris riet ihm, die Sachen, auf die er Wert legte, im Koffer zu lassen. Über dem Kaminsims hing ein Spiegel. Harris zeigte Philip den
Weitere Kostenlose Bücher