Der Menschen Hoerigkeit
daraus ziehen, die verschiedenen Fäden, die ein Muster ausmachen, selbst zu wählen, wenn er es vor dem Hintergrund und mit dem Wissen tut, dass es nirgends einen Sinn gibt und nichts von Bedeutung ist. Ein Muster gab es, das naheliegendste, vollkommenste, schönste von allen: Ein Mensch wurde geboren, wuchs und wurde ein Mann, heiratete, zeugte Kinder, arbeitete für das tägliche Brot und starb. Aber auch andere Muster waren vorhanden, vielfältig verflochten und wunderbar, in die das Glück nicht hineingewebt war und in denen Erfolg kein Ziel war; in ihnen ließ sich eine aufwühlende Anmut entdecken. Manche Leben – und dazu gehörte Haywards – schnitt die blinde Gleichmut des Schicksals ab, noch ehe das Muster sich vollenden konnte; dann tröstete die Einsicht, dass es nichts ausmachte. Andere Leben, so wie das Cronshaws, boten ein Muster, das sich schwer entwirren ließ; man musste erst den Blickpunkt verschieben, musste alte Maßstäbe ändern, ehe man begreifen konnte, dass ein solches Leben seine Rechtfertigung in sich selbst trug. Philip vermeinte, dass er nun, da er das Verlangen nach Glück aufgab, die letzte Illusion beiseiteschob. Sein Leben war ihm schauerlich erschienen, solange er es mit dem Maße des Glückes maß; jetzt, da er erkannte, dass es mit anderen Maßstäben gemessen werden konnte, strömte ihm Kraft zu. Glück war so unwichtig wie Schmerz. Sie gehörten dazu, alle beide, wie andere Teile seines Lebens, um das Muster zu vervollkommnen. Es kam ihm vor, als stünde er über all seinen Erfahrungen, und er fühlte, dass sie ihn nicht wie früher beeinflussen konnten. Was immer ihm jetzt geschehen mochte, es konnte nur ein Motiv mehr sein, das in das verworrene und verschlungene Muster einging. Kam dann das Ende, so würde er über die Vollendung jubeln. Es wäre ein Kunstwerk, und um nichts weniger schön, weil er der Einzige war, der von seiner Existenz wusste. Mit seinem Tode würde es vergehen.
Philip war glücklich.
107
Mr. Sampson, der Einkäufer, fand Gefallen an Philip. Mr. Sampson war sehr schneidig; die Mädchen in der Abteilung meinten, sie würden sich gar nicht wundern, wenn er eines Tages eine reiche Kundin heiratete. Er lebte etwas außerhalb der Stadt und beeindruckte die Gehilfen oft, indem er sich im Büro für den Abend umzog. Manchmal sahen ihn diejenigen, die den Kehrdienst beaufsichtigen mussten, am nächsten Morgen noch immer in Abendgarderobe erscheinen; sie zwinkerten sich dann vielsagend zu, während er in sein Büro ging und in seinen Frack wechselte. Bei diesen Gelegenheiten zwinkerte er auch Philip zu, wenn er, nachdem er für ein eiliges Frühstück verschwunden war, sich die Hände reibend wieder die Treppe hochstieg.
»Was für eine Nacht, was für eine Nacht«, sagte er dann. »Das kann ich euch sagen.«
Er erklärte Philip, dass er hier der einzige Gentleman sei. Er und Philip, sie seien die beiden einzigen jungen Leute, die das Leben kannten. Kaum hatte er dies gesagt, änderte er plötzlich seine Haltung, nannte Philip Mr. Carey statt alter Junge und verwies Philip, erfüllt von der Wichtigkeit seiner Position als Einkäufer, auf seinen Platz als Aufseher.
Lynn and Sedley erhielten einmal in der Woche Modezeitschriften aus Paris und arbeiteten die darin abgebildeten Kostüme den Bedürfnissen ihrer Kundschaft entsprechend um. Sie hatten eine ganz spezielle Kundschaft. Der größte Teil setzte sich aus Frauen aus kleineren Industriestädten zusammen, die zu elegant waren, um sich mit den am Ort angefertigten Kleidern zu begnügen, London aber nicht gut genug kannten, um Schneiderinnen ausfindig zu machen, die ihrer Vermögenslage entsprachen. Außerdem kamen, eigentlich damit unvereinbar, viele Varietékünstlerinnen. Diesen Kundinnenkreis hatte Mr. Sampson persönlich erschlossen und gepflegt, und er war sehr stolz darauf. Die Damen hatten angefangen, sich ihre Theaterkostüme bei Lynn machen zu lassen; daraufhin hatte Mr. Sampson dann viele dazu gebracht, auch ihre übrigen Kleider dort zu kaufen.
»So gut wie von Paquin und halb so teuer«, sagte er.
Er hatte ein überzeugendes, vertrauenerweckendes Auftreten, das Kundinnen dieser Art ansprach; diese sagten zueinander:
»Wozu das Geld hinauswerfen, wenn man einen Mantel und einen Rock bei Lynn bekommen kann, ohne dass jemand ahnt, dass sie nicht aus Paris kommen.«
Mr. Sampson war sehr stolz auf seine Freundschaft mit den Publikumslieblingen, deren Kleider er anfertigte,
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