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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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und wenn er sonntags um zwei Uhr mit Miss Victoria Virgo in ihrem wunderbaren Haus in Tulse Hill zu Mittag aß – »sie trug das Hellblaue, das sie bei uns hat machen lassen, und ich musste ihr sagen, dass ich, wenn ich es nicht mit meinen eigenen Händen entworfen hätte, hätte schwören können, dass es von Paquin kommt« –, erhielt die Abteilung am nächsten Tag ausführlichen Bericht davon. Philip hatte Frauenkleidern niemals viel Beachtung geschenkt; im Laufe der Zeit begann er jedoch, selbst darüber belustigt, ein technisches Interesse an ihnen zu entwickeln. Sein Blick für Farben war weit besser geschult als bei allen anderen der Abteilung, auch hatte er aus seiner Pariser Studentenzeit ein Gefühl für Formen zurückbehalten. Mr.   Sampson war unwissend und ungebildet und kannte auch seine Grenzen; er war jedoch schlau genug, die Ideen anderer Leute als seine eigenen zu verarbeiten. Stets fragte er die Gehilfen seiner Abteilung nach ihrer Meinung, wenn er ein neues Kostüm entwerfen musste, und erkannte sehr bald, dass Philips Vorschläge und Kritik wertvoll für ihn waren. Er war sehr ehrgeizig und hätte niemals zugegeben, dass er einen Rat annahm. Wenn er eine Zeichnung nach Philips Vorschlag geändert hatte, sagte er zum Schluss stets:
    »Richtig, genau so wollte ich es haben.«
    Als Philip seit fünf Monaten im Geschäft war, erschien eines Tages Miss Alice Antonia, die bekannte Tragikomödiantin, und fragte nach Mr.   Sampson. Sie war eine stattliche Frau mit flachsblondem Haar, einem kühngeschminkten Gesicht, metallischer Stimme und dem burschikosen Ton der Komödiantin, die mit den Jungen auf der Galerie der Provinzkabarette auf gutem Fuß steht. Sie hatte ein neues Chanson und wollte von Mr.   Sampson ein Kostüm dafür entworfen haben.
    »Ich will etwas Auffälliges«, sagte sie. »Nichts von dem alten Kram, verstehen Sie. Ich möchte etwas haben, was anders ist als das, was all die anderen tragen.«
    Mr.   Sampson sagte, einschmeichelnd und vertraulich, er sei sicher, dass sie ihr genau das verschaffen könnten. Er legte ihr Entwürfe vor.
    »Ich weiß schon, hier ist nichts dabei, was dem entspricht, aber ich möchte Ihnen nur die Art zeigen, in der ich mir die Sache etwa denke.«
    »O nein, das ist keineswegs das, was ich mir vorstelle«, sagte sie, nachdem sie ungeduldig hingesehen hatte. »Was ich will, ist etwas, was sie umhaut; die Zähne müssen ihnen klappern dabei.«
    »Ich verstehe, ich verstehe, Miss Antonia«, sagte der Einkäufer mit öligem Lächeln; aber seine Augen wurden leer und dumm.
    »Ich werde wohl doch noch nach Paris hinüberfahren müssen.«
    »Ach, ich denke, wir können Sie zufriedenstellen, Miss Antonia. Was Sie in Paris bekommen, bekommen Sie auch hier.«
    Als sie wieder draußen war, besprach Mr.   Sampson die Sache leicht besorgt mit Mrs.   Hodges.
    »Sie ist eine dolle Nummer, das muss man wohl sagen«, bemerkte Mrs. Hodges.
    Mr.   Sampsons Ideen für Varietékostüme hatten niemals über kurze Röcke, einen Strudel von Spitzen und glitzernden Flitter hinausgereicht. Miss Antonia hatte sich jedoch völlig eindeutig über dieses Thema geäußert.
    »Ach, du liebe Tante!«, hatte sie gesagt.
    Dieser Stoßseufzer war in einem solchen Ton hervorgebracht, als habe sie die allertiefste Abneigung gegen so gewöhnliche Vorschläge. Sie hätte gar nicht mehr hinzuzufügen brauchen, dass ihr übel wurde, wenn sie nur an Flitter dachte. Mr.   Sampson quälte sich zwei oder drei Ideen ab; aber Mrs.   Hodges sagte ihm freimütig, dass sie nichts taugten. Sie war es dann auch, die Philip vorschlug:
    »Können Sie zeichnen, Phil? Warum versuchen Sie es nicht einmal und sehen zu, was Sie tun können?«
    Philip kaufte sich einen billigen Tuschekasten und machte am Abend ein paar Skizzen, während Bell, der lärmende Sechzehnjährige, sich pfeifend mit seinen Briefmarken beschäftigte. Er erinnerte sich an Kostüme, die er in Paris gesehen hatte; eines davon nahm er als Muster und erzielte seine eigene Wirkung durch eine Kombination schreiender, ungewöhnlicher Farben. Das Ergebnis amüsierte ihn, und er zeigte die Skizze am nächsten Morgen Mrs.   Hodges. Sie war etwas überrascht, brachte das Blatt aber sofort dem Einkäufer.
    »Ungewöhnlich«, sagte er, »das muss man ihm lassen.«
    Das Kostüm verblüffte ihn. Sein geschultes Auge erkannte sofort, dass es Aufsehen erregen würde, sich also großartig eignete. Um den Schein zu wahren, machte er sofort

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