Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
sorgen, dass Sie, sobald Sie es verdienen, ein Pfund die Woche erhalten.«
    Philip fragte sich, wie lange er wohl darauf warten müsste. Zwei Jahre?
    Er war bestürzt über die Veränderung, die mit seinem Onkel vorgegangen war. Als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er kräftig, aufrecht und immer glatt rasiert gewesen – das Gesicht rund, fast sinnlich; jetzt war er seltsam zusammengefallen, die Haut war gelb, unter den Augen hingen ihm schwere Säcke, er war gebeugt und alt. Während der letzten Krankheit hatte er sich einen Bart stehenlassen. Er ging sehr langsam.
    »Ich habe heute gerade keinen besonders guten Tag«, sagte er, als Philip kurz nach seiner Ankunft bei ihm im Esszimmer saß. »Die Hitze bekommt mir nicht.«
    Philip erkundigte sich nach der Gemeinde, schaute den Alten während der Unterhaltung an und fragte sich, wie lange er wohl noch leben würde. Ein heißer Sommer würde ihn erledigen. Philip fiel auf, wie dünn seine Hände geworden waren: Sie zitterten. Es würde so viel für Philip bedeuten. Starb der Onkel noch in diesem Sommer, so konnte er, Philip, zu Beginn des Wintersemesters sein Studium wiederaufnehmen. Das Herz hüpfte ihm bei dem Gedanken, dass er vielleicht nicht mehr zu Lynn zurückkehren musste. Beim Essen saß der Vikar zusammengekauert in seinem Stuhl. Die Haushälterin, die ihn seit dem Tode seiner Frau betreut hatte, fragte:
    »Soll Mister Philip das Fleisch aufschneiden?«
    Der alte Mann, der es eigentlich hatte tun wollen – er gestand seine Schwäche nicht gern ein –, gab sein Vorhaben bereitwillig auf.
    »Du hast aber einen guten Appetit«, sagte Philip.
    »O ja, ich esse reichlich. Aber dünner bin ich geworden seit dem letzten Mal, als du hier warst. Ich bin froh, dass ich dünner bin, ich fand es nicht schön, so dick zu sein. Dr.   Wigram meint, das wäre nur gut für mich, dass ich dünner bin als früher.«
    Nach dem Essen brachte die Haushälterin ihm ein Fläschchen Medizin.
    »Zeigen Sie dem jungen Herrn die Rezepte«, sagte er. »Er ist auch Arzt. Ich möchte gern wissen, ob er sie für richtig hält. Ich sprach neulich mit Dr.   Wigram, er müsse jetzt eigentlich seine Honorare herabsetzen, wo du doch auch Medizin studierst. Die Rechnungen sind schrecklich, die ich zu zahlen habe. Er ist zwei Monate lang täglich hier gewesen und verlangt fünf Shilling pro Besuch. Das ist eine ganze Menge Geld, nicht wahr? Er kommt noch immer zweimal wöchentlich. Ich will ihm aber jetzt sagen, er könne seine Besuche einstellen. Wenn ich ihn brauche, werde ich ihn rufen lassen.«
    Während Philip die Rezepte las, beobachtete sein Onkel ihn mit scharfem Interesse. Es waren beides Narkotika, eines davon sollte er, erklärte der Vikar, nur im äußersten Notfall nehmen, wenn seine Neuritis unerträglich wurde.
    »Ich bin sehr vorsichtig«, sagte er. »Ich will mich nicht an Opium gewöhnen.«
    Philips Angelegenheiten erwähnte er mit keinem Wort. Philip war der Ansicht, dass sein Onkel seine finanzielle Situation so häufig unterstrich, damit der Neffe nicht auf die Idee käme, ihn um Geld anzugehen. Der Arzt habe so viel Geld gekostet und der Apotheker noch weit mehr; man habe das Schlafzimmer täglich heizen müssen, und nun müsse er des Sonntags am Morgen und am Abend einen Wagen für die Kirchfahrt nehmen. Philip hätte am liebsten gesagt, der Vikar brauche keine Bange zu haben, er wolle kein Geld von ihm borgen, aber er hielt den Mund. Es kam Philip vor, als wäre von dem alten Mann nichts weiter übriggeblieben als Freude am Essen und Gier nach Geld. Das Alter zeigte sich hier von einer abstoßenden Seite.
    Am Nachmittag erschien Dr.   Wigram. Philip begleitete ihn nach dem Besuch zur Gartenpforte.
    »Was halten Sie von seinem Zustand?«, sagte Philip.
    Dr.   Wigram war stets mehr darauf bedacht, nichts Falsches als das Richtige zu tun. Er riskierte nie, eine feste Meinung zu äußern, wenn es sich umgehen ließ. Seit fünfunddreißig Jahren praktizierte er nun schon in Blackstable. Er genoss den Ruf eines zuverlässigen Mannes, und viele seiner Patienten waren der gleichen Meinung, dass ein Arzt lieber verlässlich als zu gescheit sein sollte.
    Es gab da einen neuen Mann in Blackstable – er hatte sich zwar schon vor zehn Jahren niedergelassen, aber jeder betrachtete ihn als Eindringling –, und es hieß von ihm, er wäre sehr klug; aber er hatte keinen Kontakt zu den angesehenen Leuten, da niemand so recht etwas von ihm wusste.
    »Ach, es geht ihm so

Weitere Kostenlose Bücher