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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Adresse kommen.
    Es war ein schäbiges Logierhaus in einer schmutzigen Straße. Als er fragte, ob sie zu Hause sei, wurde ihm bei dem Gedanken, sie nun sehen zu müssen, übel, und eine irre Hoffnung flammte in ihm auf: Vielleicht war sie nicht mehr da. Das Haus sah aus, als zögen die Leute hier häufig ein und aus. Er hatte sich den Poststempel auf dem Brief nicht angesehen und wusste also nicht, wie lange der Brief schon in seinem Kasten gelegen hatte. Die Frau, die ihm auf sein Läuten hin öffnete, antwortete nicht, sondern ging ihm einfach einen dunklen Flur entlang voran und klopfte an eine Tür, die in ein Hinterzimmer führte.
    »Mrs.   Miller, ein Herr möchte Sie sprechen«, rief sie.
    Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und Mildred sah misstrauisch heraus.
    »Ach so, du bist es«, sagte sie. »Komm rein.«
    Er trat ein, und sie schloss die Tür. Es war ein sehr kleines Schlafzimmer, so liederlich wie jeder Raum, in dem sie lebte; auf dem Fußboden lag – einer hier, einer dort – ein schmutziges Paar Schuhe; auf der Kommode befand sich ein Hut, falsche Haarlocken daneben; auf dem Tisch war eine Bluse. Philip schaute sich um, wo er seinen Hut ablegen könnte. Auf dem Haken hinter der Tür hingen Röcke; er bemerkte sofort, dass ihr Saum vor Schmutz starrte.
    »Nimm bitte Platz«, sagte sie. Dann lachte sie ungeschickt auf. »Du hast dich wahrscheinlich gewundert, dass ich wieder von mir hören ließ.«
    »Du bist schrecklich heiser«, antwortete er. »Hast du eine Halsentzündung?«
    »Ja, schon eine Zeitlang.«
    Er sagte nichts. Er wartete auf die Erklärung, warum sie ihn sehen wollte. Das Zimmer ließ ihn deutlich genug erkennen, dass sie das Leben, aus dem er sie damals herausgeholt hatte, wiederaufgenommen hatte. Was mochte mit der Kleinen geschehen sein? Auf dem Kaminsims stand eine Fotografie von ihr, aber sonst war nirgends ein Anzeichen dafür zu entdecken, dass hier je ein Kind gelebt hatte. Mildred hielt ein Taschentuch in den Händen, knüllte es zusammen und ließ es von einer Hand in die andere gleiten. Er sah ihr an, dass sie sehr nervös war. Sie starrte ins Feuer, so dass er sie betrachten konnte, ohne ihrem Blick zu begegnen. Sie war viel magerer geworden, seit sie von ihm weggegangen war; die Haut spannte trocken und gelb straff über ihre Backenknochen. Sie hatte sich das Haar gefärbt, flachsblond; es veränderte sie sehr und ließ sie noch vulgärer aussehen.
    »Ich war froh, als ich deinen Brief bekam, das muss ich schon sagen«, bemerkte sie schließlich. »Ich hatte schon gedacht, du wärst vielleicht nicht mehr im Hospital.«
    Philip sprach nicht.
    »Wahrscheinlich bist du jetzt schon zugelassener Arzt, wie?«
    »Nein.«
    »Wie kommt’s?«
    »Ich bin nicht mehr im Hospital. Ich musste es schon vor achtzehn Monaten aufgeben.«
    »Du bist aber wankelmütig. Auch du scheinst bei nichts bleiben zu können.«
    Philip schwieg eine Weile; sein Ton war eisig, als er entgegnete: »Ich habe das bisschen Geld, das ich hatte, in einer unglücklichen Spekulation verloren; ich konnte es mir dann nicht mehr leisten weiterzustudieren. Ich musste mir meinen Unterhalt, so gut es eben ging, selbst verdienen.«
    »Was machst du denn nun jetzt?«
    »Ich arbeite in einem Geschäft.«
    »Ach…«
    Sie warf ihm einen schnellen Blick zu und wandte dann sofort ihre Augen wieder ab. Er glaubte zu sehen, dass sie rot wurde. Sie betupfte die Handballen nervös mit dem Taschentuch.
    »Du hast aber dein Wissen nicht völlig vergessen, oder doch?« Sie stieß die Worte seltsam rauh hervor.
    »Nicht ganz.«
    »Deshalb wollte ich dich nämlich sprechen.« Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Geflüster. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
    »Warum gehst du nicht ins Krankenhaus?«
    »Ich habe keine Lust, mich von all den Studenten da angaffen zu lassen, und außerdem habe ich Angst, sie behalten mich dort.«
    »Was fehlt dir also?«, fragte Philip kalt, mit der stereotypen Wendung, die man auch in den Krankensälen immer gebrauchte.
    »Ich habe plötzlich einen Hautausschlag gekriegt, den ich nicht mehr loswerde.«
    Philip durchfuhr ein Gefühl des Grauens wie ein Stich durch sein Herz. Der Schweiß brach ihm aus.
    »Kann ich mir mal deinen Hals ansehen?«
    Er führte sie zum Fenster hinüber und untersuchte sie, so gut es ging. Plötzlich fiel sein Blick auf ihre Augen, Todesangst stand darin. Es war schrecklich anzusehen. Sie wollte von ihm die Versicherung, dass es nicht so schlimm sei; sie sah

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