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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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den nötigsten Dingen den Menschen kleinlich, gemein, gierig macht; es verzerrt seinen Charakter und lässt ihn die Welt von einem gemeinen Blickpunkt aus sehen; wenn man jeden Penny umdrehen muss, nimmt das Geld eine groteske Wichtigkeit an. Man muss erst lernen, seinen wirklichen Wert einzuschätzen. Philip lebte ein einsames Leben, traf nur die Athelnys, aber er fühlte sich nicht einsam, er beschäftigte sich mit Zukunftsplänen, und manchmal dachte er auch an die Vergangenheit zurück. Gelegentlich weilte er mit seinen Erinnerungen bei alten Freunden, aber er unternahm keinerlei Anstrengung, sie wiederzusehen. Er hätte gern gewusst, was aus Norah Nesbit geworden war; sie war jetzt Norah Sonstwer, aber der Name ihres Bräutigams fiel ihm nicht mehr ein. Er war froh, dass er ihr begegnet war: Sie war eine gute, tapfere Seele. Eines Abends gegen halb zwölf sah er Lawson die Piccadilly hinuntergehen. Er war im Abendanzug und kam wahrscheinlich aus dem Theater. Philip bog, einem plötzlichen Impuls folgend, in eine Nebenstraße ein. Er hatte ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und spürte, dass er die unterbrochene Freundschaft jetzt nicht wiederaufnehmen konnte. Er und Lawson hatten einander nichts mehr zu sagen. Philip interessierte sich nicht mehr für die Kunst. Es kam ihm vor, als wäre er imstande, die Schönheit jetzt mit größerer Kraft zu genießen als früher, da er noch ein Junge war. Aber die Kunst erschien ihm unwichtig. Seine Aufgabe war, aus dem chaotischen Vielerlei des Lebens ein Muster zu gestalten; das Material, mit dem er arbeitete, ließ Farben wie Worte eher trivial erscheinen. Lawson hatte seinen Zweck erfüllt. Philips Freundschaft mit ihm war ein Motiv gewesen, das in das Muster hineingearbeitet wurde; es wäre reine Sentimentalität, wollte man die Tatsache übersehen, dass der Maler jedes Interesse für ihn verloren hatte.
    Manchmal dachte Philip an Mildred. Er mied die Straßen, in denen er ihr eventuell begegnen konnte; aber gelegentlich überkam ihn ein Gefühl, vielleicht Neugier, vielleicht etwas Tieferes, das er sich nicht eingestehen wollte; dann wanderte er in den Stunden, wo er sie dort vielleicht antreffen konnte, durch die Piccadilly und die Regent Street. Er wusste in solchen Augenblicken selbst nicht, ob er sich wünschte, ihr zu begegnen, oder ob er es fürchtete. Einmal glaubte er sie von hinten zu erkennen, und einen Augenblick lang dachte er wirklich, sie wäre es. Es war eine seltsame Empfindung. Ein scharfer Schmerz durchdrang sein Herz, zugleich Furcht und scheußlicher Widerwille. Als er dieser Frau dann nachlief und erkannte, dass er sich geirrt hatte, wusste er nicht recht, ob ihn das erleichterte oder enttäuschte.
    Anfang August bestand Philip sein Chirurgie-Examen; es war seine letzte Prüfung, und er erhielt sein Diplom. Sieben Jahre war es nun her, dass er sein Studium im St.   Luke’s Hospital begonnen hatte. Er war fast dreißig Jahre alt. Er schritt die Treppen der Königlich Chirurgischen Akademie hinab, mit der Papierrolle in Händen, die die Zulassung als praktizierender Arzt enthielt, und das Herz schlug ihm vor Befriedigung.
    ›Jetzt fängt das Leben eigentlich erst an‹, dachte er.
    Am nächsten Tag ging er zum Sekretariat, um sich für eine Stellung im Hospital zu bewerben. Der Sekretär war ein zuvorkommender kleiner Mann mit schwarzem Bart, der zu Philip immer sehr freundlich gewesen war. Er gratulierte ihm zu seinem Erfolg und sagte dann: »Sie hätten wohl keine Lust, eine Stellvertretung an der Südküste für einen Monat zu übernehmen? Drei Guineen die Woche plus Unterkunft und Verpflegung.«
    »Ich hätte nichts dagegen«, sagte Philip.
    »Es ist in Farnley, in Dorsetshire. Doktor South. Sie müssten allerdings sofort gehen. Sein Assistent hat Mumps bekommen. Ich glaube, es ist dort sehr nett.«
    Irgendetwas an der Art, wie der Sekretär das vorbrachte, gab Philip zu denken. Es klang etwas unsicher.
    »Was für ein Haken ist dabei?«, fragte er.
    Der Sekretär zögerte erst und lachte dann versöhnlich.
    »Hm – wie ich gehört habe, soll der Alte ein bisschen rauhbeinig und komisch sein. Die Vermittlungsstellen wollen ihm niemanden mehr zuweisen. Er spricht immer frei von der Leber weg, und die meisten mögen das nicht.«
    »Glauben Sie denn, dass er mit einem jungen Arzt, der eben erst approbiert ist, zufrieden sein wird? Ich habe schließlich keine Erfahrung.«
    »Er sollte froh sein, wenn er Sie überhaupt bekommt«, sagte der

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