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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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überließ Philip sich selbst. Als das Mädchen den Tisch abdecken kam, erklärte sie Philip, dass Dr. South von sechs bis sieben Sprechstunde abhielte. Für heute war also die Arbeit getan. Philip holte sich ein Buch aus seinem Zimmer, zündete sich die Pfeife an und machte es sich zum Lesen bequem. Es war eine rechte Wohltat, denn er hatte in den letzten Monaten nichts als medizinische Bücher gelesen. Um zehn erschien Dr.   South und sah ihn an. Philip saß nie gern, ohne die Füße hochzulegen; er hatte sich einen Stuhl dafür herangezogen.
    »Sie machen es sich ja sehr behaglich«, sagte Dr.   South so grimmig, dass Philip sicherlich unruhig geworden wäre, hätte er nicht so gute Laune gehabt.
    In Philips Augen war ein Zwinkern, als er antwortete: »Haben Sie etwas dagegen?«
    Dr.   South warf ihm einen Blick zu, aber er antwortete nicht darauf.
    »Was lesen Sie da?«
    » Peregrine Pickle. Smollet.«
    »Das weiß ich schon, dass Peregrine Pickle von Smollet ist.«
    »Entschuldigen Sie, bitte. Aber gewöhnlich haben Ärzte nicht viel für Literatur übrig, oder?«
    Philip hatte das Buch auf den Tisch gelegt, und Dr.   South nahm es auf. Es war ein Band der Ausgabe, die dem Vikar von Blackstable gehört hatte, ein dünnes Büchlein mit verblasstem Saffianledereinband und einem Frontispiz. Die Seiten hatten durch das Alter Stockflecke bekommen und rochen muffig. Philip beugte sich vor, als Dr.   South das Buch in die Hand nahm, und ein leichtes Lächeln erschien in seinen Augen. Dem alten Arzt entging so gut wie nichts.
    »Amüsiere ich Sie?«, fragte er eisig.
    »Auch Sie mögen Bücher. Das sieht man sofort an der Art, wie ein Mensch mit Büchern umgeht.«
    Dr.   South legte den Roman sofort nieder.
    »Gefrühstückt wird um acht Uhr dreißig«, sagte er und verließ das Zimmer.
    ›Ein komischer alter Knabe!‹, dachte Philip.
    Schnell fand er heraus, warum Dr.   Souths Assistenten es so schwer hatten, mit ihm auszukommen. Erstens lehnte er mit aller Entschiedenheit jede Neuerung der letzten dreißig Jahre ab: Er erklärte, kein Vertrauen zu den neumodischen Arzneien zu haben, die Wunder- und Allheilmittel sein sollten und dann ein paar Jahre später wieder aufgegeben wurden. Er verschrieb erprobte Mixturen, die er sich vom St.   Luke’s, wo er als Student gearbeitet hatte, mitgebracht und sein ganzes Leben benutzt hatte; die seien genauso wirksam wie dieses neumodische Zeug. Philip war über Dr.   Souths Misstrauen der Asepsis gegenüber verblüfft. Er hatte sich zwar der allgemeinen Meinung gebeugt und wandte die Vorsichtsmaßnahmen wohl oder übel an, auf deren gewissenhafter Ausführung man im Hospital bestand, aber mit einer Art verächtlicher Toleranz, so wie ein Erwachsener, der mit Kindern Soldat spielt.
    »Ich habe miterlebt, wie die antiseptischen Mittel aufgekommen sind und einfach alles vor sich herfegten, und dann habe ich mit angesehen, wie die Asepsis kam und sie verdrängte. Humbug!«
    Die jungen Leute, die zu ihm geschickt wurden, hatten nur Krankenhauserfahrung und brachten die unverhohlene Geringschätzung für den praktischen Arzt mit, die im Hospital in der Luft lag. Aber sie kannten auch nur die komplizierten Fälle, die ihnen in den Krankensälen begegnet waren; sie wussten, wie man eine schwierige Erkrankung der Nebennieren behandelte, aber sie standen hilflos vor einem einfachen Schnupfen. Ihr Wissen war theoretisch und ihr Selbstwertgefühl grenzenlos. Dr.   South sah ihnen mit zusammengepressten Lippen zu, und es bereitete ihm ein wildes Vergnügen, wenn er ihnen nachweisen konnte, wie groß ihre Unwissenheit und wie wenig gerechtfertigt ihre Aufgeblasenheit war. Was er hatte, war eine Armenpraxis, Fischer meistens. Der Arzt machte sich seine eigenen Arzneien zurecht. Er pflegte seine Assistenten zu fragen, wie er finanziell zurechtkommen sollte, wenn der Assistent einem Fischer, der sich den Magen verdorben hatte, eine Arznei verschrieb, die sich aus einem halben Dutzend teurer Medikamente zusammensetzte. Er beklagte auch, dass die jungen Leute ungebildet waren und nichts lasen als den Sportteil der Times und das British Medical Journal; sie konnten weder leserlich noch orthographisch richtig schreiben, behauptete er. Zwei oder drei Tage lang behielt Dr.   South Philip streng im Auge, bereit, ihn mit bissigem Sarkasmus zu überschütten, wenn sich die geringste Gelegenheit bot. Philip, der das wohl merkte, ging mit stiller Belustigung seiner Arbeit nach. Die neue

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