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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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leicht und brachte dann den etwas förmlichen Satz heraus, den sie sich zurechtgelegt hatte: »Ich werde die Halskette stets schätzen, und es war sehr nett von Ihnen, sie mir zu schenken.«
    Philip fand es immer ein bisschen schwierig, mit ihr zu sprechen. Sie tat alles, was sie zu tun hatte, sehr verständig und zuverlässig, schien aber keinen Drang zu Unterhaltungen zu haben; und doch war sie überhaupt nicht ungesellig. Eines Sonntagnachmittags, als Athelny und seine Frau ausgegangen waren und Philip, der ja fast schon zur Familie gehörte, allein im Salon saß und las, kam Sally herein, setzte sich ans Fenster und nähte. Die Kleider der Mädchen wurden zu Hause angefertigt, und Sally konnte es sich nicht leisten, am Sonntag nichts zu tun. Philip dachte, dass sie vielleicht Lust hätte, sich mit ihm zu unterhalten, und legte das Buch weg.
    »Lesen Sie nur weiter«, sagte sie. »Ich wollte Sie nur nicht so allein sitzen lassen.«
    »Sie sind der schweigsamste Mensch, der mir je begegnet ist«, sagte Philip.
    »Wir können hier im Hause nicht noch jemand brauchen, der gern schwatzt«, sagte sie.
    In ihrer Stimme lag keinerlei Ironie; sie stellte nur eine Tatsache fest. Aber Philip spürte, dass sie in ihrem Vater nicht mehr den Helden ihrer Kindheit sah und dass sie seine unterhaltsamen Gespräche mit der Unruhe in Verbindung brachte, die so oft Schwierigkeiten in ihrem Leben verursacht hatte. Sie verglich seine Rhetorik mit dem praktischen gesunden Menschenverstand ihrer Mutter, und obwohl sie die Lebhaftigkeit ihres Vaters amüsierte, wurde sie vielleicht manchmal etwas ungeduldig mit ihm. Philip betrachtete sie, wie sie da über ihre Arbeit gebeugt saß: Sie war gesund, stark, und alles an ihr war Natur; es musste komisch aussehen, wenn sie zwischen den andern Mädchen im Geschäft stand, von denen sicherlich viele flachbrüstig und bleichsüchtig waren wie Mildred.
    Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass Sally einen Verehrer hatte. Gelegentlich ging sie mit Freundinnen aus, die sie von der Arbeit kannte, und hatte bei einer solchen Gelegenheit einen jungen Mann kennengelernt, einen Elektrotechniker, dem es geschäftlich sehr gut ging: also jemand, der durchaus in Frage kam. Eines Tages erzählte sie ihrer Mutter, dass er ihr einen Heiratsantrag gemacht habe.
    »Was hast du da gesagt?«, fragte die Mutter.
    »Ach, ich habe ihm gesagt, ich sei fürs Erste gar nicht so versessen aufs Heiraten.« Sie unterbrach sich, wie das ihre Art war. »Er war sehr betrübt; da habe ich ihm denn gesagt, er könne am Sonntag zum Tee kommen.«
    Das war eine Gelegenheit, die Athelny sehr zusagte. Er probte den ganzen Nachmittag, wie er zur Erbauung des jungen Mannes den schwierigen Vater spielen würde, bis seine Kinder vor Lachen ganz erschöpft waren. Kurz bevor der Bewerber erscheinen sollte, stöberte er einen ägyptischen Tarbusch auf und stülpte ihn über.
    »Lass das doch, Athelny«, sagte seine Frau, die ihr bestes Kleid trug: das Schwarzsamtene, das ihr mit zunehmenden Jahren und zunehmendem Umfang sehr eng geworden war. »Du verdirbst dem Mädchen die Chancen.«
    Sie versuchte, ihn ihm abzuziehen; aber der kleine Mann schlüpfte ihr geschickt unter den Fingern fort.
    »Rühr mich nicht an, Frau. Nichts kann mich dazu bringen, dass ich es abnehme. Man muss dem jungen Mann gleich zu Anfang zeigen, dass es keine gewöhnliche Familie ist, in die er Einlass begehrt.«
    »Lass es ihn aufbehalten, Mutter«, sagte Sally in ihrer gleichmütigen, fast gleichgültigen Art. »Wenn Mr.   Donaldson es nicht so nimmt, wie es gemeint ist, kann er machen, dass er rauskommt, und Schluss!«
    Philip fand, dass der junge Mann einer ziemlich strengen Feuerprobe unterzogen wurde; denn Athelny bot in seiner braunen Samtjacke, der wehenden schwarzen Künstlerschleife und dem roten Tarbusch einen erschreckenden Anblick für einen nichtsahnenden Elektrotechniker. Als er erschien, wurde er von seinem Gastgeber mit der stolzen Courtoisie eines spanischen Granden begrüßt, von Mrs.   Athelny jedoch ganz schlicht und natürlich. Sie setzten sich an dem alten Eichentisch auf den Mönchsstühlen mit den hohen Lehnen nieder, und Mrs.   Athelny schenkte aus einer irdenen Teekanne Tee ein, die der Festlichkeit etwas von Alt-England und ländlicher Stimmung verlieh. Sie hatte eigenhändig kleine Kuchen gebacken, und auf dem Tisch stand selbstgemachte Marmelade. Es war ein richtiger Bauerntee und hatte für Philip einen einfachen und reizenden

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