Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
Beschäftigung machte ihm Freude. Er mochte das Gefühl der Unabhängigkeit und Verantwortung. Alle möglichen Leute kamen zur Sprechstunde. Es freute ihn, dass er seinen Patienten Vertrauen einzuflößen schien, und es war interessant, den Heilungsprozess aus der Nähe zu beobachten, den er im Hospital gezwungenermaßen nur in gewissen Abständen hatte verfolgen können. Seine Arztbesuche brachten ihn in niedrige Hütten, wo Fischereiwerkzeug hing, Segel und hie und da auch Andenken an Hochseefahrten, eine Lackschachtel aus Japan, Speere und Ruder aus Melanesien oder Dolche aus den Bazaren von Istanbul. Es lag ein Schimmer von Romantik über den muffigen kleinen Zimmern, und der Geruch des Meerwassers gab allem eine bittere Frische. Philip unterhielt sich gern mit den Seeleuten, und sie erzählten ihm bereitwillig lange Geschichten von weiten Fahrten in ihrer Jugendzeit, nachdem sie herausgefunden hatten, dass er nicht hochnäsig war.
    Ein- oder zweimal unterlief ihm ein Fehler in der Diagnose: Er hatte bis dahin noch niemals Masern gesehen, und als er den Ausschlag zum ersten Mal erblickte, meinte er, es handle sich um eine mysteriöse Hautkrankheit; ein- oder zweimal hatte er andere Ideen zur Behandlung als Dr.   South. Als das zum ersten Mal geschah, griff ihn Dr.   South mit bissiger Ironie an, aber Philip nahm es gutgelaunt hin. Er verfügte über eine gewisse Schlagfertigkeit, so dass Dr.   South sich unterbrach und ihn verwundert anschaute. Philips Gesicht war ernst, aber er hatte ein Zwinkern in den Augen. Der alte Herr konnte den Eindruck nicht loswerden, dass Philip ihn neckte. Er war daran gewöhnt, dass seine Assistenten ihn nicht leiden konnten, ja sich vor ihm fürchteten, so dass dies ein neues Erlebnis für ihn war. Am liebsten hätte er einem Wutanfall nachgegeben und Philip in den nächsten Zug gepackt und nach Hause geschickt. Das hatte er schon früher mit seinen Assistenten so gemacht. Aber er hatte ein unbehagliches Gefühl, als ob Philip ihm dann nur offen ins Gesicht lachen würde, und plötzlich belustigte ihn die Szene. Gegen seinen Willen verzog sich sein Mund zu einem Lächeln, und er wandte sich ab. Nach einiger Zeit wurde ihm bewusst, dass sich Philip systematisch auf seine Kosten amüsierte. Zuerst war er bestürzt, dann musste er selbst lachen.
    ›Verdammte Frechheit‹, grinste er vor sich hin, ›verdammte Frechheit!‹
    117
     
    Philip hatte Athelny geschrieben, dass er auf Vertretung in Dorsetshire weile, und erhielt nach einiger Zeit eine Antwort von ihm. Sie war in der etwas künstlichen Art geschrieben, die Athelny eigen war, gespickt mit pompösen Beiwörtern wie persische Diademe mit Edelsteinen. Athelny war stolz auf seine schöne Handschrift, die wie Fraktur aussah und ebenso schwer leserlich war. Er schlug vor, Philip solle zu ihnen zur Hopfenernte nach Kent kommen, wo sie jedes Jahr hinfuhren. Um ihn zu überreden, schrieb er viele schöne und verworrene Sachen über Philips Seele und die geringelten Ranken des Hopfens. Philip schrieb sofort zurück, dass er am ersten Tag nach Beendigung seiner Stellvertretung kommen würde. Obwohl er nicht in Kent geboren war, hatte er eine besondere Zuneigung für die Isle of Thanet, und voller Begeisterung dachte er daran, dass er vierzehn Tage so erdnah zubringen sollte, an einem Ort, wo man nur einen blauen Himmel brauchte, um ein so idyllisches Leben zu führen wie in den Olivenhainen Arkadiens.
    Die vier Wochen in Farnley vergingen schnell. Auf der Klippe wuchs eine neue Stadt heran, mit roten Klinkervillen rund um Golfplätze, sogar ein großes Hotel war kürzlich eröffnet worden, um die vielen Sommergäste zu bewirten; Philip ging jedoch selten dorthin. Unten beim Hafen drängten sich kleine Steinhäuschen aus vergangenen Jahrhunderten in reizender Unordnung aneinander; die engen, steil aufsteigenden Straßen hatten etwas Altertümliches, das die Phantasie ansprach. Am Rande des Wassers lagen saubere Hütten mit winzigen, gepflegten Gärtchen davor; sie wurden von pensionierten Kapitänen der Handelsmarine oder Müttern und Witwen der Männer bewohnt, die vom Meer gelebt hatten. Es lag eine wunderliche, friedliche Stimmung darüber. Frachtschiffe aus Spanien und von der Levante legten hier im kleinen Hafen an, Schiffe von geringer Tonnage, und gelegentlich wurde einmal ein Windjammer von Märchenwinden hereingetragen. Der Hafen erinnerte Philip an den kleinen schmutzigen Hafen von Blackstable mit seinen Kohlenschiffen. Hatte

Weitere Kostenlose Bücher