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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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war er nur, wenn Mr.   Perkins die Klasse übernahm. Er war imstande, Mr.   Perkins’ Leidenschaft für Allgemeinwissen zu befriedigen; er hatte alle Arten von merkwürdigen Büchern gelesen, und oft, wenn eine Frage an die Klasse gestellt worden war, blieb Mr.   Perkins mit einem Lächeln bei Philip stehen, das dem Jungen vor Freude die Brust schwellen ließ, und sagte:
    »Nun, Carey, sag es ihnen.«
    Die guten Noten, die er bei diesen Gelegenheiten bekam, vergrößerten nur Mr.   Gordons Unwillen. Eines Tages kam an Philip die Reihe zu übersetzen, und der Lehrer saß da, starrte wütend auf ihn und kaute nervös an seinem Daumen. Er war äußerst schlechter Laune, Philip fing mit leiser Stimme zu sprechen an.
    »Murmle nicht!«, brüllte der Lehrer.
    Etwas versperrte Philip die Kehle.
    »Weiter, weiter, weiter!«
    Immer lauter kamen die Worte. Die Wirkung war, dass alles, was Philip wusste, aus seinem Kopf entschwand. Abwesend starrte er auf die bedruckten Seiten. Mr.   Gordon begann zu keuchen.
    »Wenn du es nicht weißt, dann sag es mir! Warst du dabei, als die Stelle durchgenommen wurde, oder nicht? Warum redest du nicht? Sprich, du Schafskopf, sprich!«
    Der Lehrer griff an die Lehne seines Stuhles und hielt sie fest, als müsste er sich Gewalt antun, um nicht auf Philip loszustürzen. Es war bekannt, dass er in vergangenen Zeiten seine Schüler manchmal an der Kehle gepackt hatte, bis sie zu ersticken meinten. Die Adern an seiner Stirn schwollen an, und sein Gesicht wurde dunkel und drohend. Er war außer sich.
    Philip hatte die Stelle tags zuvor vollständig beherrscht. Nun aber fiel ihm nicht das Geringste ein.
    »Ich kann es nicht«, brachte er hervor.
    »Warum kannst du es nicht? Nimm dir ein Wort nach dem andern vor – dann werden wir sehen, ob du es kannst oder nicht.«
    Philip schwieg. Sehr weiß und ein wenig zitternd stand er da, seinen Kopf über das Buch gebeugt. Der Atem des Lehrers wurde schnaubend.
    »Der Direktor behauptet, dass du klug bist. Ich verstehe nicht, wie er so etwas sagen kann. Allgemeinwissen!« Er lachte höhnisch. »Ein Schafskopf bist du, weiter nichts!«
    Das Wort gefiel ihm, und schreiend wiederholte er es immer wieder: »Schafskopf! Schafskopf! Klumpfüßiger Schafskopf!«
    Das erleichterte ihn ein wenig. Er sah, wie Philip jäh errötete. Er befahl ihm, das schwarze Buch zu holen. Philip legte den Caesar hin und ging still hinaus. In das schwarze Buch wurden die Namen der Jungen eingeschrieben, die etwas angestellt hatten, und wenn ein Name dreimal drinstand, so bedeutete das Prügel. Philip ging zum Haus des Direktors und klopfte an die Tür des Studierzimmers. Mr.   Perkins saß an seinem Tisch.
    »Kann ich das schwarze Buch bekommen, Sir?«
    »Da ist es«, antwortete Mr.   Perkins, mit einer Kopfbewegung nach der Stelle, an der es lag. »Was hast du denn angestellt?«
    »Ich weiß nicht, Sir.«
    Mr.   Perkins blickte schnell zu ihm herüber. Philip nahm das Buch und ging. Ein paar Minuten später, als die Stunde vorbei war, brachte er es wieder zurück.
    »Lass mich mal sehn«, sagte der Direktor. »Mr.   Gordon hat dich wegen frechen Benehmens eingeschrieben. Was war denn los?«
    »Ich weiß nicht, Sir. Mr.   Gordon hat mich einen klumpfüßigen Schafskopf genannt.«
    Mr.   Perkins schaute noch einmal zu ihm hin. Er fragte sich, ob diese Antwort sarkastisch gemeint sein konnte. Aber der Junge war noch viel zu aufgeregt. Sein Gesicht war bleich, und aus seinen Augen sprach deutlich die ausgestandene Angst. Mr.   Perkins stand auf und legte das Buch an seinen Platz. Dann nahm er ein paar Fotografien zur Hand.
    »Ein Freund hat mir heute ein paar Bilder von Athen geschickt«, sagte er beiläufig. »Schau, das ist die Akropolis.«
    Er fing an, Philip die Bilder zu erklären. Die Ruinen wurden bei seinen Worten lebendig. Er zeigte ihm das Theater des Dionysos und erklärte, in welcher Rangordnung die Leute gesessen hatten und wie sie von ihren Plätzen aus bis auf das blaue Meer hinaussehen konnten. Und dann warf er plötzlich dazwischen:
    »Als ich in Mr.   Gordons Klasse war, musste ich auch allerhand schlucken. Zigeunerischer Quertreiber, so nannte er mich meistens.«
    Und ehe noch Philip erfasst hatte, wie diese Bemerkung gemeint war, hatte er schon wieder ein anderes Bild vor ihn hingelegt – der Hafen von Salamis war es diesmal – und erklärte ihm, mit einem Finger deutend, unter dessen Nagel ein kleiner schwarzer Rand war, in welcher Formation die

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