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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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griechischen Schiffe und in welcher die persischen aufgestellt waren.
    17
     
    Philip brachte die nächsten beiden Jahre in angenehmer Einförmigkeit zu. Er wurde nicht schlechter behandelt als andere Jungen seines Alters, und sein Gebrechen, das ihn von den Spielen befreite, sicherte ihm ein willkommenes Unbeachtetsein. Er war nicht beliebt, und er war sehr einsam. Einige Halbjahre verbrachte er in der Klasse von Winks. Dieser wirkte mit seiner müden Art und seinen schweren Augenlidern unendlich gelangweilt. Er erfüllte seine Pflicht, aber er erfüllte sie zerstreut und geistesabwesend. Er war gutmütig, sanft und töricht. Er glaubte an die Rechtschaffenheit der Jungen; wollte man sie zur Ehrlichkeit erziehen, dürfe man sich niemals einfallen lassen, sie könnten lügen, meinte er. »Wenn ihr um viel bittet«, pflegte er zu sagen, »so wird euch viel gegeben werden.« Das Leben in seiner Klasse war leicht. Man wusste genau, welche Verse man übersetzen musste, wenn man an die Reihe kam, und mit Hilfe des Kommentars, der von Hand zu Hand ging, konnte man innerhalb von zwei Minuten alles herausfinden, was man brauchte; man konnte eine lateinische Grammatik auf den Knien aufgeschlagen haben, während die Fragen gestellt wurden; und Winks hielt es durchaus nicht für sonderbar, wenn der gleiche haarsträubende Fehler in einem Dutzend Aufgaben zu finden war. Er setzte kein großes Vertrauen in Einzelprüfungen, da er bemerkte, dass die Jungen dabei schlechter abschnitten als innerhalb der Klasse: Es war enttäuschend, aber nicht aussagekräftig. Zur gehörigen Zeit wurden sie versetzt, nachdem sie kaum etwas gelernt hatten, außer munter und frech die Wahrheit zu verdrehen, was ihnen im späteren Leben möglicherweise von größerem Nutzen war als die Fähigkeit, Latein vom Blatt zu lesen.
    Danach fiel Philip Tar in die Hände. Sein wirklicher Name war Turner; er war der lebhafteste der alten Lehrer, ein kleiner Mann mit ungeheurem Bauch, schwarzem, ergrauendem Bart und dunklem Teint. Wenn er seinen Talar anhatte, sah er tatsächlich ein wenig wie ein Fass aus; und obwohl er grundsätzlich jeden Jungen fünfhundert Verse lernen ließ, auf dessen Lippen er zufällig seinen Spitznamen hörte, machte er auf Festen innerhalb des Dombereiches oft Witze darüber. Unter den Lehrern war er der weltlichste. Er war häufiger auswärts eingeladen als die anderen, und sein Umgang war nicht so ausschließlich theologischer Natur. Während der Ferien legte er das geistliche Gewand ab und war im flotten Sportanzug in der Schweiz gesehen worden. Er wusste eine Flasche Wein und ein gutes Essen zu schätzen, und seitdem er sich einmal im Café Royal in Begleitung einer Dame gezeigt hatte, die höchstwahrscheinlich zu seiner Verwandtschaft gehörte, wurde ihm von Generationen von Schuljungen ein Lebenswandel voll wilder Ausschweifungen zugeschrieben.
    Mr.   Turner schätzte, dass er ein volles Halbjahr brauchen würde, um wieder Zucht in eine Klasse zu bringen, die unter der Leitung seines vertrauensseligen Kollegen gestanden hatte; und hie und da ließ er eine kleine Bemerkung fallen, um zu zeigen, dass er genau wusste, wie es dort zugegangen war. Er nahm es nicht weiter tragisch. Er betrachtete seine Schüler als kleine Halunken, die sich nur dann an die Wahrheit hielten, wenn sie überzeugt waren, dass ihre Lügen auffliegen würden, deren Ehrgefühl sich ausschließlich auf ihre eigenen Angelegenheiten und nicht auf ihre Beziehungen zu den Lehrern erstreckte und die am ehesten darauf verzichteten, Unfug zu treiben, wenn sie spürten, dass es sich nicht lohnte. Er war stolz auf seine Klasse und mit fünfundfünfzig Jahren noch genauso eifrig bestrebt, die besten Prüfungsresultate der Schule zu erzielen, wie zu Beginn seiner Lehrtätigkeit. Er hatte das aufbrausende Naturell der Dicken, schnell erregt und schnell wieder besänftigt, und seine Jungen entdeckten bald, dass sich hinter seinem unaufhörlichen Schelten und Poltern eine große Herzensgüte verbarg. Er hatte nicht viel Geduld mit Dummköpfen, scheute aber keine Mühe, wenn es sich um Schüler handelte, die er trotz aller Eigenwilligkeit für intelligent hielt. Er liebte es, sie zum Tee einzuladen, und obgleich sie beteuerten, dass sie kaum je etwas von den Kuchen und Brötchen abbekamen (denn damals ging das Gerücht, dass seine Fülle auf Gefräßigkeit und diese Gefräßigkeit auf einen Bandwurm zurückzuführen sei), wurden diese Einladungen doch mit wirklicher Freude

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