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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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ausschließlichere Freundschaft und forderte als sein Recht, was er zuvor als Gunst entgegengenommen hatte. Eifersüchtig beobachtete er Roses Kameradschaft mit anderen Jungen, und obwohl er sich im Unrecht wusste, war er unbeherrscht genug, seinen bitteren Gefühlen Ausdruck zu geben. Wenn Rose eine Stunde lang in einem anderen Studierzimmer Unsinn getrieben hatte und dann in sein eigenes zurückkehrte, empfing ihn Philip mit finsterer Miene. Er konnte einen ganzen Tag lang trotzen und litt umso mehr, weil Rose seine schlechte Laune entweder wirklich nicht bemerkte oder absichtlich ignorierte. Nicht selten brach er einen Streit vom Zaun, obgleich er genau wusste, wie unvernünftig das war, und dann sprachen sie manchmal mehrere Tage nicht miteinander. Aber Philip konnte es nicht ertragen, Rose lange böse zu sein, und bat, selbst wenn er sich noch so sehr im Recht fühlte, schließlich jedes Mal um Entschuldigung; dann waren sie eine Woche wieder gute Freunde. Aber die beste Zeit war vorüber, und Philip sah, dass Rose oft mehr aus Gewohnheit oder aus Angst vor seinen Vorwürfen mit ihm verkehrte. Sie hatten einander nicht mehr so viel zu sagen wie früher, und Rose langweilte sich häufig. Philip fühlte, dass seine Lahmheit ihn zu irritieren begann.
    Gegen Ende des Semesters erkrankten ein paar Jungen an Scharlach, und es wurde erwogen, alle nach Hause zu schicken, um einer Epidemie vorzubeugen; aber die Patienten wurden isoliert, und da keine weiteren Krankheitsfälle auftraten, nahm man an, dass die Gefahr überwunden war. Unter den Erkrankten war auch Philip. Er blieb die Osterferien über im Krankenhaus und wurde zu Beginn des Sommerhalbjahres auf eine Weile nach Hause geschickt, um ein wenig frische Luft zu atmen. Trotz der ärztlichen Versicherung, dass keine Ansteckungsgefahr mehr bestehe, nahm der Vikar den Jungen mit Argwohn auf; er hielt es für rücksichtslos vom Arzt, dass er den Jungen zur Genesung an die Küste schickte, und gab seine Einwilligung nur, weil dieser sonst nirgends hätte hingehen können. Nach ein paar Wochen kehrte Philip in die Schule zurück. Er hatte alle Streitigkeiten mit Rose vergessen und wusste nur mehr, dass er sein bester Freund war. Er nahm sich vor, vernünftiger zu sein. Während seiner Krankheit hatte Rose ihm mehrere kleine Briefe geschickt, und jeder schloss mit den Worten: Mach schnell und komm bald wieder! Philip dachte, dass Rose seine Rückkehr ebenso sehnlich herbeiwünschte wie er selbst.
    Der Scharlach-Tod eines Jungen aus der Sechsten hatte gewisse Verschiebungen innerhalb der Studierzimmer zur Folge gehabt, und Rose war nicht mehr in demselben untergebracht wie er. Das war eine bittere Enttäuschung. Aber gleich nach seiner Ankunft stürzte er zu Rose hinein. Rose saß an seinem Pult und arbeitete mit einem Jungen namens Hunter. Als Philip hereinkam, wandte er ungehalten den Kopf.
    »Wer zum Teufel ist das?«, rief er. Und als er sah, dass es Philip war:
    »Ach, du bist es!«
    Philip blieb betroffen stehen.
    »Ich wollte dich nur begrüßen.«
    »Wir arbeiten gerade.« Hunter mischte sich in das Gespräch.
    »Wann bist du zurückgekommen?«
    »Vor fünf Minuten.«
    Die beiden blieben sitzen und sahen ihn an, als würde er stören. Sie erwarteten offensichtlich, dass er schnell wieder ging. Philip errötete.
    »Ich geh jetzt. Du kannst nachher zu mir hereinschauen, wenn du fertig bist«, sagte er zu Rose.
    »Schön!«
    Philip schloss die Tür hinter sich und hinkte in sein eigenes Studierzimmer zurück. Er fühlte sich furchtbar verletzt. Rose hatte sich über sein Eintreten eher verärgert als erfreut gezeigt. Er hatte ihn behandelt wie einen x-beliebigen Bekannten. Philip wartete in seinem Studierzimmer und wagte nicht, sich auch nur einen Augenblick zu entfernen, falls Rose gerade dann hereinkommen sollte. Der aber ließ sich nicht blicken. Am nächsten Morgen, als Philip zum Gebet in die Kapelle ging, begegnete er Rose und Hunter, die Arm in Arm einherschlenderten. Was er nicht mit eigenen Augen sah, erzählten ihm die andern. Er hatte vergessen, dass drei Monate eine lange Zeit im Leben eines Schuljungen sind. Er hatte sie in Einsamkeit verbracht, Rose aber war in der Welt geblieben. Hunter hatte den freien Platz an seiner Seite eingenommen. Philip erkannte, dass Rose sich bemühte, ihm unauffällig aus dem Weg zu gehen. Aber er war nicht jemand, der eine solche Situation stillschweigend hinnahm; er wartete, bis er sicher war, Rose allein in seinem

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