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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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überreichte.
    »Ich werde es nachher lesen, wenn ich die Brille trage«, sagte sie.
    Aber nach dem Frühstück kam Mary Ann herein, um zu sagen, dass der Metzger hier wäre, und sie vergaß es daraufhin komplett.
    Mr.   Perkins fuhr fort:
    »Ich bin enttäuscht. Und es ist mir unbegreiflich. Du kannst arbeiten, wenn du willst – aber du scheinst eben nicht mehr zu wollen. Ich hatte die Absicht, dich im nächsten Halbjahr zum Klassensprecher zu machen, aber das werde ich wohl zunächst noch lassen.«
    Philip errötete. Es gefiel ihm nicht, übergangen zu werden. Er presste die Lippen aufeinander.
    »Und noch etwas. Du musst jetzt anfangen, an dein Stipendium zu denken. Du wirst keines bekommen, wenn du dich nicht schnell an die Arbeit machst.«
    Philip ärgerte sich über diese Strafpredigt. Er war böse auf den Direktor und böse auf sich selbst.
    »Ich glaube nicht, dass ich nach Oxford gehen werde«, sagte er.
    »Warum nicht? Ich dachte, du wolltest Priester werden.«
    »Das habe ich mir anders überlegt.«
    »Warum?«
    Philip antwortete nicht. Mr.   Perkins stand in der ihm eigenen merkwürdigen Haltung da, wie eine Figur in einem Bild von Perugino, und fuhr sich mit den Fingern gedankenvoll durch den Bart. Er schaute Philip an, als bemühe er sich, ihn zu verstehen, und schickte ihn dann unvermittelt fort.
    Offenbar jedoch war er nicht befriedigt von dem Verlauf dieser Unterredung, denn eines Abends – es war eine Woche später, und Philip brachte ihm ein paar Hefte auf sein Zimmer – nahm er das Gespräch wieder auf; diesmal griff er zu einer anderen Methode: Er sprach mit Philip nicht als Lehrer, sondern von Mensch zu Mensch. Es schien ihm nicht mehr wichtig, dass Philip schlecht arbeitete und nur gegen ehrgeizige Konkurrenten geringe Chancen auf ein Stipendium für Oxford hatte. Was ihm am Herzen lag, war Philips Sinneswechsel in Bezug auf sein künftiges Leben. Mr.   Perkins bemühte sich, seinen Wunsch, Geistlicher zu werden, neu zu beleben. Mit unendlicher Geschicklichkeit wusste er sich an sein Gefühl zu wenden, was ihm nicht schwerfiel, denn er selbst war ehrlich erschüttert. Philips Wandlung bereitete ihm bitteren Kummer. Er war überzeugt, dass Philip im Begriff war, sich sein Lebensglück zu verscherzen. Seine Stimme war sehr eindringlich. Und Philip, der sich sehr leicht mitreißen ließ von der Ergriffenheit anderer und selbst sehr erregbar war, trotz seines ruhigen Äußeren – sein Gesicht verriet teils von Natur aus, aber auch infolge jahrelanger Gewohnheit in der Schule nur selten, was er empfand, höchstens durch ein rasches Erröten –, Philip war tief bewegt von den Worten seines Lehrers. Er war ihm dankbar für sein deutliches Interesse und machte sich Vorwürfe, weil er ihn durch sein Benehmen gekränkt hatte. Es schmeichelte ihm überdies, dass Mr.   Perkins, der für die ganze Schule zu sorgen hatte, gerade ihm so viel Aufmerksamkeit schenkte; aber gleichzeitig klammerte sich etwas anderes in ihm, das wie eine zweite Person neben ihm stand, verzweifelt an drei Worte:
    »Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will nicht.«
    Er fühlte sich wanken. Er war machtlos gegen die Schwäche, die in ihm aufstieg; sie war wie das Wasser, das in eine leere Flasche eindringt, wenn sie in ein volles Gefäß gehalten wird, und er biss die Zähne zusammen und sagte sich selbst immer wieder die Worte vor:
    »Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will nicht.«
    Endlich legte Mr.   Perkins Philip die Hand auf die Schulter.
    »Ich will dich nicht beeinflussen«, sagte er. »Du musst selbst entscheiden. Bete zu Gott um Hilfe und Führung.«
    Als Philip aus dem Haus des Direktors trat, regnete es leise. Er ging unter dem Bogengang, der zu den Domanlagen führte; keine Menschenseele war zu sehen, und die Krähen schwiegen in den Ulmen. Er ging langsam. Ihm war heiß, und der Regen tat ihm wohl. Er dachte über alles nach, was Mr.   Perkins gesagt hatte, nun ruhiger, da er der leidenschaftlichen Persönlichkeit seines Lehrers entzogen war, und fühlte sich beglückt, nicht nachgegeben zu haben.
    In der Dunkelheit konnte er nur verschwommen die gewaltigen Umrisse der Kathedrale erkennen; er hasste sie nun wegen der langen ermüdenden Gottesdienste, an denen er hatte teilnehmen müssen. Die Liturgie wollte kein Ende nehmen, und man musste sie stehend anhören. Die leise dröhnende Predigt war nicht zu verstehen, und ihn zuckte es im ganzen Körper, weil es nicht gestattet war, sich zu rühren. Dann dachte

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