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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Studierzimmer anzutreffen, und ging dann hinein.
    »Darf ich hereinkommen?«, fragte er.
    Rose schaute ihn verlegen an. »Bitte, wenn du willst.«
    »Sehr liebenswürdig von dir«, sagte Philip sarkastisch.
    »Was willst du?«
    »Warum benimmst du dich so merkwürdig zu mir, seitdem ich zurück bin?«
    »Sei nicht so dumm«, war Roses Antwort.
    »Ich möchte wissen, was du an diesem Hunter findest.«
    »Das ist meine Angelegenheit.«
    Philip blickte zu Boden. Er konnte sich nicht entschließen zu sagen, was in seinem Herzen vorging. Er hatte Angst, sich zu demütigen. Rose stand auf.
    »Ich muss in die Turnstunde«, sagte er.
    Als er schon an der Tür war, zwang sich Philip zu sprechen.
    »Hör mal, Rose, willst du wirklich so gemein zu mir sein?«
    »Ach, zum Teufel mit dir.«
    Rose warf die Tür hinter sich zu und ließ Philip allein. Philip zitterte vor Wut. Er kehrte in sein Studierzimmer zurück und ließ sich das Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Jetzt hasste er Rose, er wollte ihm weh tun, und tausend ätzende Dinge fielen ihm ein, die er ihm hätte sagen können. Er grübelte über das Ende seiner Freundschaft nach und bildete sich ein, dass die anderen darüber sprachen. In seiner Empfindlichkeit witterte er Spott und befremdetes Erstaunen dort, wo man sich nicht im Entferntesten den Kopf über ihn zerbrach. Er malte sich aus, was seine Kameraden untereinander redeten.
    »Schließlich war nie zu erwarten, dass es lange dauern würde. Ohnedies ein Wunder, dass er sich ausgerechnet Carey ausgesucht hat. Dieser Wicht.«
    Um seine Gleichgültigkeit zu demonstrieren, ging er eine enge Freundschaft mit einem Jungen namens Sharp ein, den er hasste und verachtete. Sharp kam aus London und war ein lümmelhafter, plumper Bursche, mit dem ersten Anflug eines Schnurrbärtchens auf den Lippen und dichten Augenbrauen, die über der Nasenwurzel zusammengewachsen waren. Er hatte weiche Hände und allzu glatte Manieren für sein Alter. Er gehörte zu den Jungen, die für Sport zu schlapp sind, und entwickelte großen Scharfsinn in der Erfindung von Entschuldigungen, um sich auch vor dem Pflichtunterricht zu drücken. Er wurde von Lehrern und Schülern abgelehnt, und wenn Philip nun seine Gesellschaft suchte, so geschah es aus purer Arroganz. Sharp sollte in einiger Zeit für ein Jahr nach Deutschland gehen. Er hasste die Schule und sah sie als Demütigung an, die man ertragen musste, bis man alt genug war, in die Welt hinauszuziehen. London war das Ziel seiner Wünsche, und er hatte viele Geschichten über seine Ferienerlebnisse dort zu erzählen. Seine Plaudereien – er sprach mit einer weichen, tieftönenden Stimme – beschworen das erregende Treiben des nächtlichen London herauf. Philip hörte Sharp fasziniert und abgestoßen zugleich zu. In seiner Phantasie sah er alles vor sich, das wogende Gedränge vor den Theatereingängen, den glitzernden Prunk billiger Restaurants, Bars, wo halbbetrunkene Männer auf hohen Stühlen saßen und sich mit Barmädchen unterhielten, und unter den Straßenlampen das geheimnisvolle Gewühl dunkler Menschenmengen, die ihrem Vergnügen nachgingen. Sharp lieh ihm billige Romane, die Philip mit wollüstiger Angst in seinem Schlafkämmerchen verschlang.
    Einmal versuchte Rose eine Versöhnung herbeizuführen. Er war ein gutmütiger Junge und liebte es nicht, Feinde zu haben.
    »Sag, Carey, warum benimmst du dich so albern? Was hast du davon, wenn du mich schneidest?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, antwortete Philip.
    »Schließlich könnten wir uns ja wieder vertragen, nicht?«
    »Du langweilst mich«, sagte Philip.
    »Bitte, dann lass es bleiben.«
    Rose zuckte die Achseln und ging. Philip war sehr weiß, wie immer, wenn ihn etwas aufregte, und sein Herz schlug heftig. Als Rose gegangen war, wurde ihm plötzlich übel vor Unglück. Er wusste nicht, warum er so schroff geantwortet hatte. Alles hätte er darum gegeben, wieder mit Rose befreundet zu sein. Er bereute, dass sie gestritten hatten, und jetzt, wo er erkannte, dass es den anderen schmerzte, tat es ihm sehr leid. Aber in jenem Augenblick war er nicht Herr seiner selbst gewesen. Es war, als hätte ihn der Teufel geritten und ihn gezwungen, gegen seinen Willen harte Worte zu sagen. Und doch, wie hatte er sich danach gesehnt, Rose die Hände hinzustrecken und alle Feindschaft zu begraben. Aber der Wunsch zu verletzen war stärker gewesen. Er hatte sich rächen wollen für den Schmerz und die Demütigung, die er erlitten

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