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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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hatte. Stolz war es gewesen, aber gleichzeitig auch Torheit, denn Rose machte sich nicht das Geringste aus der ganzen Sache, das wusste er genau, während er selbst bitterlich leiden würde. Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, zu Rose hinzugehen und zu sagen:
    ›Entschuldige, dass ich so gemein war. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Lass uns wieder gut sein.‹
    Aber er wusste von vornherein, dass er nicht imstande sein würde, es zu tun. Er hatte Angst, dass Rose ihn auslachen würde. Er war böse auf sich selbst, und als nach einer Weile Sharp hereinkam, ergriff er die erste Gelegenheit, mit ihm Streit anzufangen. Philip hatte einen teuflischen Instinkt, die wunden Punkte anderer Leute zu entdecken, und war imstande, diese auch zu treffen. Aber Sharp hatte das letzte Wort.
    »Ich habe gerade gehört, wie Rose mit Mellor über dich gesprochen hat. Mellor hat gesagt: ›Warum hast du ihn nicht durchgeprügelt? Das hätte ihn gelehrt, wie man sich benimmt.‹ Und Rose hat darauf gesagt: ›Das wollte ich nicht. Er ist ja ein Krüppel.‹«
    Philip wurde purpurrot. Er konnte nicht antworten, denn er fühlte einen Klumpen in der Kehle, der ihn zu ersticken drohte.
    20
     
    Philip wurde in die sechste Klasse versetzt, aber er hasste nun die Schule von ganzer Seele, und da er keinen Ehrgeiz mehr hatte, war es ihm völlig gleichgültig, ob er gut oder schlecht abschnitt. Er wachte in der Früh mutlos auf, weil er wieder einen Tag voll langweiliger Arbeit vor sich hatte. Er hatte es satt, Dinge tun zu müssen, weil sie ihm befohlen worden waren; und er ärgerte sich über die auferlegten Beschränkungen, nicht weil sie unvernünftig, sondern weil sie Beschränkungen waren. Er lechzte nach Freiheit. Er wollte nicht länger eines schwerfälligen Jungen wegen Dinge wiederholen, die er selbst von Anfang an verstanden hatte.
    Bei Mr.   Perkins konnte man arbeiten oder nicht, wie man wollte. Philip war interessiert und abwesend zugleich. Die sechste Klasse befand sich in einem restaurierten Teil der alten Abtei und hatte ein gotisches Fenster; Philip versuchte, sich die Langeweile zu vertreiben, indem er dieses Fenster immer wieder zeichnete; manchmal zeichnete er aus dem Kopf den großen Turm der Kathedrale oder das Eingangstor zum Dombereich. Er war nicht unbegabt. Tante Louisa hatte in ihrer Jugend Aquarelle gemalt und besaß mehrere Mappen voller Skizzen von Kirchen, alten Brücken und pittoresken Häuschen. Wenn Gäste zum Tee kamen, wurden die Mappen manchmal hervorgeholt und gezeigt. Zu Weihnachten hatte sie Philip einmal einen Malkasten geschenkt, und er hatte begonnen, die Arbeiten seiner Tante zu kopieren. Er kopierte sie besser, als man erwartet hatte, und wagte sich alsbald an eigene Bilder heran. Mrs.   Carey ermutigte ihn. Es war eine willkommene Gelegenheit, ihn von Dummheiten abzuhalten; und später könnte man sie für den Bazar verwenden. Einige seiner Skizzen wurden eingerahmt und hingen im Wohnzimmer.
    Aber eines Tages, nach dem Ende des Vormittagsunterrichts, wurde Philip von Mr.   Perkins angehalten.
    »Ich möchte mit dir sprechen, Carey.«
    Philip wartete. Mr.   Perkins fuhr sich mit den mageren Fingern durch den Bart und blickte Philip an. Er schien zu überlegen, was er sagen sollte.
    »Was ist mit dir los, Carey?«, fragte er unvermittelt.
    Philip warf ihm errötend einen raschen Blick zu. Er kannte ihn nun schon genau und wartete, ohne zu antworten, das Weitere ab.
    »Ich bin in der letzten Zeit sehr unzufrieden mit dir. Du bist nachlässig und unaufmerksam. Du hast kein Interesse mehr an deiner Arbeit. Alles, was du machst, ist liederlich und schlecht.«
    »Das tut mir leid«, entgegnete Philip.
    »Ist das alles, was du mir zu sagen hast?«
    Philip blickte trotzig zu Boden. Wie konnte er gestehen, dass er sich zu Tode langweilte?
    »Du weißt, dass du dich in diesem Halbjahr verschlechtern wirst. Ich werde dir kein sehr gutes Zeugnis geben.«
    Philip hätte gerne gewusst, was Mr.   Perkins dazu sagen würde, wenn er wüsste, wie in Blackstable mit Zeugnissen umgegangen wurde: Mr.   Carey warf einen teilnahmslosen Blick darauf und übergab es Philip.
    »Hier ist dein Zeugnis. Du kannst besser lesen, was darauf steht«, bemerkte er, während seine Finger die Seiten des Katalogs über antiquarische Bücher entlangfuhren.
    Philip las.
    »Ist es gut?«, fragte Tante Louisa.
    »Nicht so gut, wie ich es verdienen würde«, antwortete Philip lächelnd, während er es ihr

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