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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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unchristlich. Er müsse wissen, dass sie nur sein Bestes wollten, und sie seien um so vieles älter als er, so dass sie besser entscheiden könnten, was für ihn gut sei. Philip ballte die Fäuste. Er hatte diesen Satz so oft gehört und konnte nicht einsehen, warum er wahr sein sollte; sie kannten die Umstände nicht so gut wie er; warum war es für sie selbstverständlich, dass sie durch ihr höheres Alter klüger waren? Der Brief schloss mit der Bemerkung, dass Mr.   Carey die Kündigung zurückgezogen habe.
    Philip schürte seinen Zorn bis zum nächsten freien Nachmittag. Diese hatten sie an jedem Dienstag und Donnerstag, denn am Samstagnachmittag mussten sie den Gottesdienst in der Kathedrale besuchen. Als die Schüler der Sechsten hinausgingen, blieb er hinter ihnen zurück.
    »Darf ich heute Nachmittag nach Blackstable fahren, Sir?«, fragte er.
    »Nein«, sagte der Direktor kurz angebunden.
    »Ich möchte mit meinem Onkel über eine wichtige Sache sprechen.«
    »Hast du nicht gehört, dass ich nein gesagt habe?«
    Philip antwortete nicht. Er ging hinaus. Er hatte die Demütigung satt, die Demütigung, bitten zu müssen, und die Demütigung, eine abschlägige Antwort in barschem Ton hinnehmen zu müssen. Nun hasste er den Direktor. Philip hasste den Despotismus, der niemals bereit war, eine Begründung für seine Willkür zu geben. Er war zu zornig, um sich sein Verhalten zu überlegen, und nach dem Abendessen ging er auf Abkürzungen, die er sehr gut kannte, zum Bahnhof hinunter, gerade rechtzeitig für den Zug nach Blackstable. Er ging ins Pfarrhaus und fand seinen Onkel und seine Tante im Speisezimmer vor.
    »Hallo, wo kommst denn du her?«, sagte der Vikar.
    Es war völlig klar, dass er nicht erfreut war, ihn zu sehen. Er blickte etwas beunruhigt drein.
    »Ich dachte, es wäre das Beste, ich würde herkommen und mit dir über meinen Schulabgang sprechen. Ich möchte wissen, was es bedeuten soll, dass du mir etwas versprichst, wenn ich hier bin, und dich eine Woche später nicht daran hältst.«
    Er war ein bisschen erschrocken über seine eigene Kühnheit, aber er hatte sich genau überlegt, was er sagen wollte, und obwohl sein Herz heftig schlug, zwang er sich, dies auch zu sagen.
    »Hast du die Erlaubnis bekommen, heute Nachmittag hierherzukommen?«
    »Nein. Ich habe Mr.   Perkins darum gebeten, aber er hat abgelehnt. Wenn du ihm schreiben und mitteilen willst, dass ich hier war, kannst du mir damit ganz schön viel Ärger einhandeln.«
    Mrs.   Carey strickte mit zitternden Händen. Szenen war sie nicht gewohnt; sie regten sie außerordentlich auf.
    »Es geschähe dir recht, wenn ich es ihm erzählen würde«, sagte Mr. Carey.
    »Wenn du petzen willst, dann tu es. Nachdem du ja schon einmal an Perkins geschrieben hast, bist du auch dazu fähig.«
    Es war unklug von Philip, dies zu sagen, denn es gab dem Vikar genau die Gelegenheit, die er brauchte.
    »Ich denke nicht daran, hier ruhig sitzen zu bleiben, während du mir unverschämte Dinge sagst«, meinte er würdevoll.
    Er stand auf und ging schnell in sein Arbeitszimmer hinüber. Philip hörte, wie er die Tür schloss und versperrte.
    »Ach, wenn ich doch schon einundzwanzig wäre! Es ist schrecklich, so abhängig zu sein.«
    Tante Louisa begann still zu weinen.
    »O Philip, du hättest mit deinem Onkel nicht in dieser Weise sprechen sollen. Ich bitte dich, geh zu ihm und sag ihm, dass es dir leidtut.«
    »Es tut mir nicht im Geringsten leid. Er ist entschieden im Vorteil. Es ist doch reine Geldverschwendung, mich an dieser Schule zu lassen; aber was macht es schon? Es ist nicht sein Geld. Es war gemein, mich unter die Vormundschaft von Leuten zu stellen, die von nichts eine Ahnung haben.«
    »Philip.«
    Philip hielt inne, als er ihre Stimme hörte. Sie klang herzzerreißend. Er war sich nicht bewusst gewesen, was für beißende Worte er gesagt hatte.
    »Philip, wie kannst du so lieblos sein? Du weißt, wir wollen nur das Beste für dich, und wir wissen, dass es uns an Erfahrung mangelt; hätten wir eigene Kinder gehabt, wäre es anders: Wir hätten Mr.   Perkins nicht um Rat zu fragen brauchen.« Ihr versagte die Stimme. »Ich habe versucht, dir die Mutter zu ersetzen. Ich habe dich geliebt wie einen eigenen Sohn.«
    Sie war so klein und zart, und es lag etwas Ergreifendes in ihrem altjüngferlichen Aussehen, dem Philip sich nicht entziehen konnte. Ein großer Klumpen schien plötzlich in seiner Kehle zu stecken, und seine Augen füllten sich mit

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