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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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außerordentlich wichtig; er schien sich hauptverantwortlich für den guten Geist in der Schule zu halten; heute war die Reihe an ihm, den für den Tag bestimmten Bibeltext vorzulesen, und er las ihn sehr gut. Philip lächelte, weil er nun bald für immer von ihm befreit sein würde. In sechs Monaten spielte es keine Rolle mehr, dass Rose groß und gerade gewachsen, Klassensprecher und Kapitän der Kricket-Mannschaft war. Philip sah sich die Lehrer in ihren Talaren an. Gordon war tot, er war vor zwei Jahren an einem Schlaganfall gestorben – aber alle Übrigen waren noch da. Philip wusste nun, was für eine armselige Gesellschaft sie waren, Turner vielleicht ausgenommen, der noch am meisten wie ein Mann wirkte; und er wand sich bei dem Gedanken an die Abhängigkeit, in der ihn diese Menschen gehalten hatten. In sechs Monaten würden auch sie belanglos sein. Ihr Lob würde ihm nichts bedeuten, und über ihren Tadel würde er bloß die Achseln zucken.
    Philip hatte gelernt, seine Empfindungen zu verbergen, und immer noch quälte ihn seine große Schüchternheit, aber er war oft voll innerer Ausgelassenheit, und hinkte er auch ernsthaft, still und in sich gekehrt umher, so war ihm in solchen Stunden doch, als singe es in seinem Herzen. Es schien ihm, als gehe er leichter dahin. Die verschiedensten Einfälle tanzten ihm durch den Kopf. Vorstellungen jagten einander so wild, dass er sie nicht festhalten konnte; aber ihr Kommen und Gehen beseligte ihn. Nun, da er sich glücklich fühlte, war er auch wieder imstande zu arbeiten, und in den übrigen Wochen des Quartals ging er daran, das, was er durch seine lange Nachlässigkeit versäumt hatte, wiedergutzumachen. Bei den Schlussprüfungen schnitt er sehr gut ab. Mr.   Perkins machte nur eine einzige Bemerkung: Er sprach mit ihm über einen Aufsatz, den er geschrieben hatte, und sagte nach der üblichen Kritik:
    »Du scheinst ja wieder Vernunft angenommen zu haben.«
    Er lächelte ihn mit blitzenden Zähnen an, und Philip gab, zu Boden blickend, ein verlegenes Lächeln zurück.
    Die sechs Jungen, die unter sich die verschiedenen Preise ausmachen würden, die am Ende des Sommers vergeben wurden, hatten aufgehört, Philip als ernsthaften Rivalen zu betrachten, aber nun blickten sie mit einiger Unruhe zu ihm. Er erzählte niemandem, dass er zu Ostern weggehen wollte und daher auf keinen Fall ein Konkurrent sein würde, sondern überließ sie ihrer Besorgnis. Er wusste, dass Rose auf sein Französisch stolz war, da er zwei- oder dreimal während der Ferien in Frankreich gewesen war, und dass er mit dem Preis für den englischen Aufsatz rechnete; Philip verschaffte es eine große Befriedigung, seine Bestürzung zu beobachten, als er merkte, um wie viel besser Philip in diesen Fächern war. Ein anderer Knabe, Norton, konnte nicht nach Oxford gehen, wenn er kein Stipendium bekam. Er fragte Philip, ob er sich um eines bewerben würde.
    »Hast du etwas dagegen einzuwenden?«, fragte Philip.
    Es ergötzte ihn, dass die Zukunft eines anderen in seiner Hand lag. Es hatte etwas Abenteuerliches an sich, auf die verschiedenen Belohnungen Anspruch zu haben und sie dann anderen zukommen zu lassen, weil man sie geringschätzte. Schließlich kam sein letzter Tag, und er ging zu Mr.   Perkins, um sich von ihm zu verabschieden.
    »Du willst uns doch nicht wirklich verlassen?«
    Unverhüllte Überraschung sprach aus den Worten des Direktors.
    »Sie haben gesagt, Sie würden mir kein Hindernis in den Weg legen, Sir.«
    »Ja, aber ich hatte deinen Entschluss nicht ernst genommen. Ich hatte gedacht, du würdest dir die Sache überlegen. Warum um Himmels willen willst du uns jetzt verlassen? Du hast ohnehin nur noch ein Halbjahr vor dir. Du kannst ohne Schwierigkeiten ein Stipendium bekommen; du wirst die Hälfte der Preise erhalten, die wir zu vergeben haben.«
    Philip blickte ihn finster an. Er hatte das Gefühl, betrogen worden zu sein; aber er hatte das Versprechen erhalten, und Perkins würde dazu stehen müssen.
    »In Oxford wird es dir sehr gefallen. Du musst dich nicht gleich entscheiden, was du anschließend tun möchtest. Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst, wie herrlich dort das Leben ist, wenn man klug ist.«
    »Ich habe bereits alle Vorkehrungen für meine Reise nach Deutschland getroffen«, sagte Philip.
    »Und könnten diese Vorkehrungen nicht rückgängig gemacht werden?«, fragte Mr.   Perkins mit seinem ironischen Lächeln. »Es würde mir leidtun, dich zu verlieren. In

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