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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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wieder schauten sie zu Philip hinüber und wechselten leise Bemerkungen; sie kicherten beide, und Philip errötete, weil er den Eindruck hatte, dass sie sich über ihn lustig machten. Neben ihnen saß ein Chinese mit gelbem Gesicht und überfreundlichem Lächeln, der an der Universität studierte. Er sprach so schnell, mit einem sonderbaren Akzent, dass die Mädchen ihn nicht immer verstehen konnten und viel zu lachen fanden. Gutmütig lachte er mit, wobei sich seine mandelförmigen Augen beinahe schlossen. Dann waren zwei, drei Amerikaner da, in schwarzen Gehröcken, mit ziemlich gelber und ausgetrockneter Haut, die Theologie studierten. Philip hörte aus ihrem schlechten Deutsch den näselnden amerikanischen Akzent heraus und betrachtete sie mit Misstrauen, denn man hatte ihn gelehrt, Amerikaner als wilde und unverbesserliche Barbaren anzusehen.
    Später, nachdem man eine Weile auf den steifen grünen Samtstühlen des Salons herumgesessen hatte, forderte Fräulein Anna Philip auf, mit ihr und ein paar andern spazieren zu gehen.
    Philip nahm die Einladung an. Eine ganze Gesellschaft fand sich zusammen: Thekla und Anna Erlin, die beiden andern Mädchen, einer der amerikanischen Studenten und Philip. Philip ging neben Anna und Fräulein Hedwig. Er war ein wenig aufgeregt, da er noch nie mit Mädchen verkehrt hatte. In Blackstable gab es nur Bauern- und Kaufmannstöchter. Er kannte sie dem Namen nach und vom Sehen, aber er war schüchtern und bildete sich ein, dass sie über sein Gebrechen lachten. Widerstandslos machte er sich die Auffassung des Vikars zu eigen, die eine scharfe Grenze zwischen ihrem eigenen, erhabenen Rang und dem der übrigen Dorfbewohner zog. Der Arzt hatte zwei Töchter, aber diese waren beide viel älter als Philip und hatten sich, als er noch ein kleiner Junge war, jede mit einem Assistenzarzt ihres Vaters verheiratet. In der Schule war hie und da von Mädchen die Rede gewesen, die sich mehr durch Dreistigkeit als durch Zurückhaltung auszeichneten und über deren Beziehungen zu gewissen Jungen tolle Geschichten kursierten, die wahrscheinlich der Phantasie der Knaben entsprungen waren. Aber Philip hatte hinter hochmütiger Verachtung das Entsetzen zu verbergen gesucht, mit dem derlei Dinge ihn erfüllten. Als Ideal schwebte ihm die Byronsche Pose vor, und in seinem Innern tobte nun ein verzweifelter Kampf zwischen krankhafter Befangenheit und der Überzeugung, dass er sich ritterlich zu zeigen hatte. Er fühlte sich verpflichtet, heiter und amüsant zu sein, aber sein Gehirn war wie ausgeleert, und nicht um alle guten Geister fiel ihm etwas zu sagen ein. Anna Erlin wandte sich aus Höflichkeit öfters an ihn, aber Hedwig sprach nur wenig; sie schaute ihn hin und wieder mit leuchtenden Augen an, und manchmal lachte sie zu seiner Verwirrung hell heraus. Philip hatte das Gefühl, dass sie ihn unmöglich fand. Man ging längs eines waldbewachsenen Hanges dahin, und Philip atmete beglückt den würzigen Duft der Nadelbäume ein. Der Tag war warm und wolkenlos. Endlich gelangte man auf eine Anhöhe, von der aus man das Rheintal, das sich tief unten in der Sonne dehnte, überblickte. Es war eine weite Landfläche, funkelnd in goldenem Licht, mit Städten da und dort in der Ferne, durchzogen von dem silbernen Band des Flusses. Weite Horizonte sind selten in jenem Winkel von Kent, in dem Philip zu Hause war, und der Anblick, der sich ihm nun darbot, erfüllte ihn mit einem merkwürdigen, unbeschreiblichen Entzücken, mit einer freudigen Erregung. Er wusste es nicht, aber zum ersten Mal hatte er reine Schönheit erlebt, unverwässert durch fremde Empfindungen. Sie saßen zu dritt auf einer Bank – die andern waren vorausgegangen –, und während sich die Mädchen schnell auf Deutsch miteinander unterhielten, weidete Philip ungeachtet ihrer Nähe seine Blicke an dem wunderbaren Bild.
    »Bei Gott, ich bin glücklich«, sagte er unwillkürlich zu sich selbst.
    23
     
    Philip dachte bisweilen an die Kings School in Tercanbury und lachte in sich hinein, wenn er sich ausmalte, was man zu dieser oder jener Stunde dort trieb. Hie und da träumte er, dass er noch immer Schüler wäre, und atmete erleichtert auf, wenn er beim Aufwachen merkte, dass er in seinem kleinen Turmzimmer lag. Vom Bett aus konnte er die großen Kumuluswolken sehen, die über den blauen Himmel zogen. Er schwelgte in seiner Freiheit. Er konnte zu Bett gehen und aufstehen, wann es ihm gefiel. Niemand war da, dem er zu gehorchen hatte. Er

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