Der Menschen Hoerigkeit
wohnen, und der Herr des Hauses selbst, Mittelschulprofessor von Beruf, war bereit, seinen Unterricht zu übernehmen.
Philip kam an einem Maimorgen in Heidelberg an. Sein Gepäck wurde auf eine Schubkarre geladen, und er folgte dem Träger auf die Straße. Der Himmel leuchtete tiefblau, und die Bäume der Allee, unter der sie dahingingen, waren dicht belaubt; es lag etwas in der Luft, das Philip nicht kannte, und in seine Scheu vor dem neuen Leben inmitten von Fremden, das ihm nun bevorstand, mischte sich freudige Erwartung. Er war ein wenig enttäuscht, dass niemand gekommen war, ihn abzuholen, und er fühlte sich sehr verloren, als ihn der Träger vor der Eingangstür eines großen, weißen Hauses verließ. Ein unordentlicher Bursche öffnete ihm und führte ihn in das Empfangszimmer. Darin nahm eine mächtige, mit grünem Samt überzogene Salongarnitur viel Platz ein, und in der Mitte stand ein runder Tisch. Auf diesem thronte ein in eine weiße Papierkrause gezwängter, dicht gebundener Blumenstrauß, umgeben von streng geordneten ledergebundenen Büchern. Es roch muffig.
Nach einer Weile erschien, eingehüllt in eine Wolke von Küchendüften, Frau Professor Erlin, eine kleine, sehr korpulente Frau mit straff nach hinten gekämmtem Haar und einem roten Gesicht; sie hatte kleine Augen, funkelnd wie Glasperlen, und ein überschwengliches Auftreten. Sie nahm Philip an beiden Händen und erkundigte sich nach Miss Wilkinson, die zweimal ein paar Wochen in ihrem Hause zugebracht hatte. Sie sprach halb deutsch, halb gebrochen englisch. Philip konnte ihr nicht begreiflich machen, dass er Miss Wilkinson nicht kannte. Dann kamen ihre beiden Töchter ins Zimmer. Auf Philip wirkten sie nicht jung, mochten aber kaum älter sein als fünfundzwanzig Jahre. Die ältere, Thekla, war ebenso klein wie ihre Mutter, hatte die gleiche fahrige Art, aber ein hübsches Gesicht und volles dunkles Haar; Anna, ihre jüngere Schwester, war groß und nicht unbedingt schön, doch Philip gab ihr sofort den Vorzug, weil sie ein angenehmes Lächeln hatte. Nach einigen Minuten höflicher Konversation führte die Frau Professor Philip in sein Zimmer und überließ ihn sich selbst. Es war ein Turmzimmer, und vom Fenster aus sah man die Baumwipfel der Stadtanlage. Das Bett stand in einem Alkoven, und wenn man am Schreibtisch saß, hatte man nicht den Eindruck eines Schlafraumes. Philip packte seinen Koffer aus und stellte alle seine Bücher auf. Endlich war er sein eigener Herr.
Um ein Uhr rief ihn eine Glocke zum Mittagessen, und er fand alle Bewohner des Hauses im Salon versammelt. Er wurde dem Professor vorgestellt, einem hochgewachsenen Mann mittleren Alters, mit einem großen, blonden und nunmehr ergrauenden Kopf und milden blauen Augen. Er sprach mit Philip in korrektem, aber ziemlich altertümlichem Englisch, denn er hatte sich seine Kenntnisse vornehmlich durch das Studium der klassischen Schriftsteller und nicht durch Konversation angeeignet. Für Philip klangen manche seiner Wörter, die er nur aus den Werken Shakespeares kannte, im gewöhnlichen Sprachgebrauch etwas seltsam. Frau Professor Erlin nannte ihr Hauswesen eine Familiengemeinschaft, nicht eine Pension; aber es hätte des Scharfsinnes eines Metaphysikers bedurft, um genau festzustellen, wo der Unterschied eigentlich lag. Als man sich in einem langen, finsteren Raum neben dem Salon zum Essen niedersetzte, zählte Philip, der sich sehr fremd fühlte, dass sechzehn Personen anwesend waren. Frau Professor Erlin saß an einem Ende und schnitt das Fleisch vor. Die Bedienung wurde unter lautem Tellergeklapper von dem unbeholfenen Burschen besorgt, der Philip die Tür geöffnet hatte, und obgleich er ziemlich rasch hantierte, hatte doch die erste Person stets aufgegessen, ehe die letzte zu ihrer Portion kam. Frau Professor Erlin bestand darauf, dass bei Tische ausschließlich Deutsch gesprochen wurde, so dass Philip, selbst wenn er seine Schüchternheit überwunden hätte, zum Stillschweigen gezwungen war. Er schaute sich die Leute an, mit denen er von nun an leben sollte. Neben Frau Professor Erlin saßen ein paar alte Damen, denen Philip jedoch nur wenig Aufmerksamkeit schenkte. Zwei junge Mädchen waren da, beide blond und eine von ihnen sehr hübsch, die mit Fräulein Hedwig und Fräulein Cäcilie angesprochen wurden. Fräulein Cäcilie hatte einen langen Zopf, der ihr über den Rücken baumelte; die beiden saßen nebeneinander und schwatzten und lachten ununterbrochen. Hin und
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