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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Tochter; manchmal sagte das Mädchen etwas Geistreiches, und der Vater lehnte sich im Stuhl zurück und lachte laut und herzlich. Alles war freundlich und unschuldig; die ganze Szene verströmte ein allgemeines Wohlbehagen. Aber für dieses Wohlbehagen hatte Philip keine Empfindung. Seine Gedanken waren mit dem Stück beschäftigt, das er eben gesehen hatte.
    »Da fühlt man: Das ist Leben!«, rief er aufgeregt. »Lange kann ich es hier nicht mehr aushalten, weißt du. Es zieht mich nach London, damit ich wirklich anfangen kann. Ich will Erfahrungen sammeln. Ich habe es satt, mich auf das Leben vorzubereiten. Ich möchte es jetzt endlich leben.«
    Manchmal ließ Hayward Philip allein nach Hause gehen. Er gab nie genaue Antworten auf Philips Nachfragen, sondern deutete mit einem höflichen und ziemlich dummen Lachen irgendeine romantische Liebesgeschichte an; er zitierte ein paar Zeilen von Rossetti und zeigte Philip einmal ein Sonett, in dem sich Leidenschaft und Purpur, Pessimismus und Pathos um eine junge Dame namens Trude zusammendrängten. Hayward wollte seinen schäbigen kleinen Abenteuern gerne einen poetischen Anstrich geben und verwendete deshalb das Wort Hetäre, womit er sich auf eine Stufe mit Perikles und Phidias zu stellen vermeinte. Philip war, von Neugierde verführt, einmal tagsüber durch die kleine Straße neben der alten Brücke mit ihren sauberen weißen Häusern und den grünen Fensterläden geschlendert, in der nach Haywards Angaben Fräulein Trude wohnte; aber die geschminkten Weiber mit ihren rohen Gesichtern, die aus den Türen traten und ihm nachriefen, flößten ihm Schrecken ein; und er floh entsetzt vor den groben Händen, die ihn zu halten versuchten. Er sehnte sich vor allem nach Erfahrung und kam sich lächerlich vor, weil er in seinem Alter noch nicht erlebt hatte, was in jedem Roman als das Wichtigste im Leben gepriesen wurde. Aber er besaß die unglückliche Gabe, die Dinge zu sehen, wie sie sind, und die Wirklichkeit, die sich ihm darbot, unterschied sich zu schrecklich von dem erträumten Ideal.
    Er wusste nicht, welch weites Land, karg und gefährlich, der Mensch auf seiner Lebensreise durchqueren muss, ehe er dazu gelangt, diese Wirklichkeit zu akzeptieren. Dass die Jugend glücklich ist, ist eine Illusion, und zwar derer, die nicht mehr jung sind; aber die Jungen wissen, dass sie unglücklich sind, denn sie sind voller vorgegaukelter Ideale, und jedes Mal, wenn sie auf die Realität treffen, gehen sie daraus mit Schrammen und Wunden hervor. Es ist, als wären sie die Opfer einer Verschwörung; denn die Bücher, die sie lesen, und die Gespräche der Älteren, die durch den rosigen Nebel der Vergesslichkeit auf die Vergangenheit zurückblicken, bereiten sie auf ein unwirkliches Leben vor. Sie müssen selbst herausfinden, dass alles, was sie gelesen haben, und alles, was ihnen erzählt wurde, nichts weiter ist als Lügen; jede dieser Entdeckungen ist ein weiterer Nagel, der in den Körper am Kreuz des Lebens geschlagen wird. Das Seltsame daran ist, dass jeder, der diese bittere Desillusionierung durchlaufen hat, später selbst unbewusst dazu beiträgt, durch eine Kraft in seinem Inneren, die stärker ist als er selbst. Der Umgang mit Hayward war im höchsten Grade schädlich für Philip. Hayward war ein Mensch, der nichts aus sich selbst heraus, sondern alles nur durch eine literarische Brille sah, und er war gefährlich, weil er sich seiner Unechtheit gar nicht mehr bewusst war. Aufrichtig überzeugt hielt er seine Sinnlichkeit für romantischen Überschwang, seinen Wankelmut für künstlerisches Temperament, seine Faulheit für philosophische Ruhe. Sein Geist sah in seinem banalen Streben nach Verfeinerung alles ein wenig überlebensgroß, mit Umrissen, die in einem goldenen Dunst von Sentimentalität verschwammen. Er log und wusste nie, dass er log; wenn man es ihm nachwies, dann erklärte er, dass er die Lüge schön fände. Er war ein Idealist.
    30
     
    Philip war ruhelos und unbefriedigt. Haywards poetische Anspielungen beschäftigten seine Phantasie, und seine Seele lechzte nach Romantik. So wenigstens drückte er es sich selbst gegenüber aus.
    Und zufällig spielte sich zu jener Zeit in Frau Erlins Hause ein Ereignis ab, das Philips Aufmerksamkeit noch eindringlicher auf das Geschlechtliche hinlenkte. Zwei- oder dreimal war er auf seinen Spaziergängen Fräulein Cäcilie begegnet; mit einer Verbeugung war er an ihr vorbeigegangen und hatte einen Meter weiter den Chinesen

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