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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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»wenn Fräulein Förster dies wüsste, würde sie sofort das Haus verlassen. Und wenn sie alle weggehen, müssen wir das Haus zusperren. Ich habe nicht die Mittel, es zu halten.«
    »Selbstverständlich werde ich nichts sagen.«
    »Wenn sie hierbleibt, werde ich nicht mehr mit ihr reden«, sagte Anna.
    An diesem Abend nahm Fräulein Cäcilie mit einem eigensinnigen Blick, mehr gerötet als sonst, pünktlich ihren Platz bei Tisch ein; Herr Sung erschien nicht, und eine Zeitlang dachte Philip, er ginge der Sache aus dem Weg. Aber er kam dann doch, lächelte und entschuldigte sich für sein spätes Erscheinen. Wie gewöhnlich bestand er darauf, der Frau Professor ein Glas von seinem Moselwein einzuschenken, und bot auch Fräulein Förster ein Glas Wein an. Im Zimmer war es sehr heiß, da der Ofen den ganzen Tag hindurch gebrannt hatte und die Fenster selten geöffnet wurden. Emil tappte umher, aber irgendwie gelang es ihm, jedem schnell und ordentlich zu servieren. Die drei alten Damen saßen schweigend da und sahen missbilligend um sich: Die Frau Professor hatte sich eben erst vom Weinen erholt; ihr Gemahl war schweigsam und bedrückt, die Unterhaltung stockte. Philip kam diese Versammlung, der er so oft beigewohnt hatte, auf einmal schrecklich vor; im Licht der zwei Hängelampen sahen die Anwesenden völlig verändert aus; er fühlte sich auf unbestimmte Weise unbehaglich. Einmal fing er einen Blick von Cäcilie auf, und es war ihm, als sähe sie ihn feindselig und verächtlich an. Es war beklemmend. Die Liebschaft der beiden schien alle zu verdrießen; eine Atmosphäre orientalischer Verderbtheit breitete sich aus; ein leiser Duft von Räucherstäbchen und geheimem Laster ließ Philip schwerer atmen. Er konnte das Blut in den Adern seiner Stirn pochen hören. Er verstand nicht, welch sonderbare Erregung ihn verwirrte; er fühlte sich angezogen und abgestoßen zugleich.
    Ein paar Tage lang ging es so weiter. Diese widernatürliche Leidenschaft vergiftete die Luft in dem kleinen Haushalt, und die Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Nur Herr Sung blieb ungerührt; er lächelte nicht seltener und war freundlicher und höflicher als zuvor: Niemand hätte sagen können, ob sein Benehmen ein Triumph der Zivilisation oder ein Ausdruck der Missachtung des Orients für den besiegten Westen war. Cäcilie gab sich herausfordernd und spöttisch. Schließlich konnte die Frau Professor die Situation nicht länger ertragen. Plötzlich wurde sie von Panik ergriffen; da Professor Erlin mit brutaler Offenheit auf die möglichen Folgen eines Liebesabenteuers, das nun allen offenbar war, hingewiesen hatte, sah sie ihren guten Namen und den Ruf ihres Hauses in Heidelberg durch einen Skandal, der schwerlich verborgen bleiben konnte, ruiniert. Aus verschiedenen Gründen, vielleicht geblendet von den eigenen Interessen, hatte sie an diese Möglichkeit niemals gedacht; nun war sie in ihrer Erregung kaum zurückzuhalten und wollte das Mädchen sofort aus dem Haus jagen. Nur Annas vernünftigem Zureden war es zu danken, dass ein vorsichtiger Brief an den Onkel in Berlin geschrieben wurde, mit dem Vorschlag, Fräulein Cäcilie zu sich zu holen.
    Nun durfte die Frau Professor der Erbitterung Luft machen, die sie so lange in sich hineingefressen hatte, um die zwei Gäste nicht zu verlieren. Nun konnte sie Cäcilie sagen, was sie wollte.
    »Ich habe Ihrem Onkel geschrieben, Cäcilie, und ihn gebeten, Sie von hier fortzunehmen. Ich kann Sie nicht länger im Hause behalten.«
    Ihre kleinen, runden Augen blitzten, als sie das plötzliche Erbleichen des Mädchens sah.
    »Sie sind schamlos, schamlos, schamlos«, fuhr sie fort.
    Sie schrie ihr Schimpfworte ins Gesicht.
    »Was haben Sie meinem Onkel Heinrich geschrieben, Frau Professor?«, fragte das Mädchen und gab ihre herausfordernde Unabhängigkeit plötzlich auf.
    »Das wird er Ihnen schon selbst sagen. Ich nehme an, dass ich morgen eine Antwort von ihm bekomme.«
    Am nächsten Tag rief sie, um die Demütigung öffentlicher zu machen, beim Abendbrot über den ganzen Tisch zu Cäcilie hinüber:
    »Ich habe einen Brief von Ihrem Onkel erhalten, Cäcilie. Sie sollen noch heute Ihre Sachen packen, und morgen werden Sie in den Zug gesetzt. Ihr Onkel holt Sie vom Hauptbahnhof ab.«
    »Vielen Dank, Frau Professor.«
    Herr Sung lächelte der Frau Professor ins Gesicht und schenkte ihr ungeachtet ihres Protestes ein Glas Wein ein. Die Frau Professor aß ihr Abendbrot mit gutem Appetit, aber sie hatte zu

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