Der Menschen Hoerigkeit
erklärte sie, aber ein Chinese, mit seiner gelben Haut, seiner flachen Nase, seinen Schweinsäuglein! Das war das Schlimme! Es ekelte einen ja förmlich, daran zu denken!
»Bitte, bitte«, sagte Cäcilie und zog mit einem heftigen Atemzug Luft ein, »ich dulde es nicht, dass man etwas gegen ihn sagt.«
»Aber es ist Ihnen doch nicht ernst?«, stammelte Frau Erlin.
»Ich liebe ihn. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn.«
»Gott im Himmel!«
Die Frau Professor starrte sie entsetzt an; sie hatte alles für eine Ungezogenheit von Seiten des Mädchens gehalten, für eine unschuldige Verrücktheit; aber die Leidenschaft in Cäcilie sprach eine deutliche Sprache. Cäcilie sah sie einen Augenblick mit flammenden Augen an, zuckte dann die Achseln und ging aus dem Zimmer.
Frau Erlin behielt die Einzelheiten dieser Unterredung für sich und änderte ein, zwei Tage später die Tischordnung. Herr Sung wurde gebeten, am oberen Ende des Tisches Platz zu nehmen, was er mit der größten Bereitwilligkeit tat. Cäcilie nahm die Veränderung gleichgültig hin. Aber als ob die beiden durch das Bekanntwerden ihrer Beziehungen schamloser geworden wären, machten sie nun kein Geheimnis mehr aus ihren Spaziergängen und zogen jeden Nachmittag miteinander ins Freie. Offenbar war es ihnen gleichgültig, was über sie geredet wurde. Schließlich wurde es sogar Professor Erlin zu bunt, und er bestand darauf, dass seine Frau mit dem Chinesen spreche. Sie nahm ihn beiseite und redete ihm ins Gewissen; er zerstöre Cäcilies Ruf, er schädige das Haus; er müsse einsehen, wie falsch und unmöglich sein Benehmen sei; aber Herr Sung lächelte nur verständnislos; er wusste nicht, was sie meinte; er habe kein besonderes Interesse für Fräulein Cäcilie, er ginge nie mit ihr spazieren; nichts stimmte, auch nicht ein Wort.
»Ach, Herr Sung, wie können Sie so etwas sagen? Sie sind Dutzende Male gesehen worden!«
»Nein, nein. Das muss ein Irrtum sein.«
Er blickte sie mit seinem stereotypen Lächeln an, das seine regelmäßigen, kleinen weißen Zähne entblößte. Er war ganz ruhig. Er leugnete alles. Er leugnete mit freundlicher Unverschämtheit. Schließlich verlor die Frau Professor die Ruhe und warf ihm an den Kopf, dass das Mädchen bereits eingestanden habe, dass sie ihn liebte. Er blieb ungerührt. Er fuhr fort zu lächeln.
»Unsinn, Unsinn! Es ist alles nicht wahr.«
Sie konnte nichts aus ihm herausbringen. Das Wetter wurde sehr schlecht; es kam Schnee und Frost und dann Tauwetter, gefolgt von vielen trübseligen Tagen, an denen es kein Vergnügen war, spazieren zu gehen. Eines Abends, als Philip gerade seine Deutschstunde beendet hatte und im Gespräch mit Frau Erlin im Salon stand, stürmte Anna herein.
»Mama, wo ist Cäcilie?«, fragte sie.
»In ihrem Zimmer, nehme ich an.«
»Dort ist kein Licht.«
Frau Professor schrie auf und blickte ihre Tochter bestürzt an. »Ruf Emil«, sagte sie heiser.
Emil war der einfältige Tölpel, der bei Tisch bediente und den größten Teil der Hausarbeit besorgte. Er kam herein.
»Emil, geh hinunter in Herrn Sungs Zimmer und öffne die Tür, ohne anzuklopfen. Wenn jemand drin ist, sag, du kämest, um nach dem Ofen zu sehen.«
Kein Zeichen des Erstaunens zeigte sich auf Emils phlegmatischem Gesicht.
Langsam ging er die Treppen hinunter. Die Frau Professor und Anna ließen die Tür offen und horchten. Bald hörten sie Emil wieder heraufkommen und riefen ihn.
»War jemand drin?«, fragte die Frau Professor.
»Ja. Herr Sung.«
»War er allein?«
Ein schlaues Lächeln verzog seinen Mund.
»Nein, Fräulein Cäcilie war bei ihm.«
»Das ist ja furchtbar!«, rief die Frau Professor.
Nun grinste er breit.
»Fräulein Cäcilie ist jeden Abend bei ihm. Stundenlang.«
Die Frau Professor rang die Hände.
»Wie schrecklich! Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Mich geht es ja nichts an«, antwortete er langsam und zuckte mit den Schultern.
»Ich vermute, sie haben dich gut bezahlt. Verschwinde!«
Er ging ungeschickt auf die Tür zu.
»Sie müssen von hier fort, Mama«, sagte Anna.
»Und wer wird die Miete bezahlen? Und die Steuern sind fällig. Du kannst leicht sagen, sie müssen fort von hier. Wenn sie fortgehen, kann ich die Rechnungen nicht bezahlen.« Als sie sich Philip zuwandte, strömten Tränen über ihr Gesicht. »Ach, Mr. Carey, Sie müssen mir versprechen, dass Sie nichts von all dem weitersagen werden. Wenn Fräulein Förster –«, das war die alte Jungfer aus Holland,
Weitere Kostenlose Bücher