Der Menschen Hoerigkeit
ein wenig einfältig auf den Tod. Und er, in seiner Kraft und Jugend, nach Abenteuer dürstend, war entsetzt über die Nutzlosigkeit ihres Daseins; nichts hatten sie vollbracht, und wenn sie gestorben waren, würde es sein, als wären sie nie gewesen. Ein großes Mitleid für Tante Louisa stieg in ihm auf; plötzlich liebte er sie, weil sie ihn liebte.
Dann kam Miss Wilkinson ins Zimmer, die sich während der Begrüßung diskret beiseitegehalten hatte.
»Das ist Miss Wilkinson, Philip«, sagte Mrs. Carey.
»Der verlorene Sohn ist heimgekehrt!« Mit diesen Worten streckte sie ihm die Hand hin. »Ich habe dem verlorenen Sohn eine Rose fürs Knopfloch mitgebracht.«
Mit einem fröhlichen Lächeln befestigte sie die Blume, die sie kurz vorher im Garten gepflückt hatte, an Philips Revers. Er errötete und kam sich dumm vor. Er wusste, dass Miss Wilkinson die Tochter von Onkel Williams letztem Vorgesetzten war, und er hatte eine ausreichende Bekanntschaft mit Pfarrerstöchtern. Sie trugen schlecht geschnittene Kleider und grobe Stiefel. Sie waren gewöhnlich schwarz gekleidet, denn in Philips Jugend hatten Tweedstoffe Ostengland noch nicht erreicht, und die Damen der Geistlichkeit waren den Farben abhold. Ihr Haar war unordentlich frisiert, und sie rochen nach gestärkter Wäsche. Sie betrachteten weibliche Reize als etwas Unschickliches und sahen alle gleich aus, ob sie nun alt oder jung waren. Ihre Religion trugen sie arrogant als Schild vor sich her. Der übrigen Menschheit gegenüber nahmen sie eine leicht herrische Haltung ein.
Miss Wilkinson war ganz anders. Sie trug ein weißes, mit kleinen bunten Blumensträußchen bedrucktes Musselinkleid, spitze Schuhe mit hohen Absätzen und durchbrochene Strümpfe. Philip fand sie in seiner Unerfahrenheit wunderbar gekleidet; er merkte nicht, dass ihr Kleid billig und auffällig war. Ihr Haar war kunstvoll frisiert, mit einer schmucken Locke am Scheitel: Es war sehr schwarz, glänzend und fest und sah aus, als könnte es nie auch nur im Geringsten in Unordnung geraten. Sie hatte große schwarze Augen, und ihre Nase war ein wenig gebogen: Im Profil hatte sie etwas von einem Raubvogel, aber von vorn gesehen, war das Gesicht einnehmend. Sie lächelte viel, aber ihr Mund war groß, und beim Lachen versuchte sie, ihre Zähne zu verbergen, die kräftig und ziemlich gelb waren. Am meisten aber störte Philip, dass sie stark gepudert war; er hatte strenge Ansichten, was weibliches Auftreten betraf, und fand, dass es sich für eine Dame nicht schickte, sich zu pudern. Dass aber Miss Wilkinson eine Dame war, stand außer jedem Zweifel, war sie doch die Tochter eines Geistlichen, und ein Geistlicher war ein Gentleman.
Philip kam zu dem Ergebnis, dass er sie nicht leiden konnte. Sie sprach mit einem leichten französischen Akzent; und er wusste nicht, warum sie das tat, da sie doch im Herzen Englands geboren und erzogen worden war. Er fand ihr Lächeln affektiert, und die gezierte Munterkeit ihres Wesen irritierte ihn. Zwei, drei Tage blieb er schweigsam und ablehnend, aber Miss Wilkinson bemerkte es anscheinend nicht. Sie war sehr umgänglich und wandte sich im Gespräch beinahe ausschließlich an ihn; es lag etwas Schmeichelhaftes in der Art, mit der sie ständig an sein gesundes Urteil appellierte. Sie brachte ihn auch zum Lachen, und Philip war nie imstande, Menschen zu widerstehen, die ihn amüsierten: Er hatte ein gewisses Talent, hübsche Bemerkungen fallenzulassen, und er freute sich über eine dankbare und verständnisvolle Zuhörerin. Weder der Vikar noch Mrs. Carey war mit Humor gesegnet, und sie lachten nie über das, was er sagte. Mit der Zeit gewöhnte er sich an Miss Wilkinson, und seine Schüchternheit verließ ihn; Miss Wilkinson gefiel ihm immer besser. Er fand ihren französischen Akzent apart, und bei einem Gartenfest, das der Doktor gab, war sie weitaus besser gekleidet als alle andern. Sie trug einen blauen Foulard mit großen weißen Tupfen, und Philip schmunzelte über das Aufsehen, das sie erregte.
»Ich möchte nicht hören, was über Sie gesprochen wird«, sagte er lachend.
»Wie schön! Es war immer schon mein Traum, für ein ganz verruchtes Geschöpf gehalten zu werden«, antwortete sie.
Eines Tages fragte Philip Tante Louisa, wie alt Miss Wilkinson sei.
»Oh, mein Lieber, nach dem Alter einer Dame darf man nie fragen; aber zum Heiraten für dich ist sie jedenfalls zu alt.«
Der Vikar lächelte sein langsames, feistes Lächeln.
»Sie ist kein
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