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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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sie. »Der arme Guy hat jedem weiblichen Wesen den Hof gemacht. Das konnte er sich einfach nicht abgewöhnen!«
    Sie seufzte ein wenig und schien der Vergangenheit nachzusinnen.
    »Er war ein bezaubernder Mensch«, hauchte sie.
    Mit ein wenig mehr Erfahrung hätte sich Philip die Begegnung etwa folgendermaßen ausmalen können: Der berühmte Schriftsteller ist zu einem Mittagessen en famille eingeladen; die Gouvernante tritt, begleitet von ihren zwei hoch aufgeschossenen Zöglingen, bescheiden ein; es folgt die Vorstellung:
    »Notre Miss anglaise.«
    »Mademoiselle.«
    Und dann das Essen, bei dem die Miss anglaise still dasitzt, während der berühmte Schriftsteller sich mit dem Herrn und der Dame des Hauses unterhält.
    Aber in Philip riefen Miss Wilkinsons Worte romantischere Vorstellungen hervor.
    »Ach, erzählen Sie mir doch alles über ihn«, bat er aufgeregt.
    »Es gibt nichts zu erzählen«, antwortete sie wahrheitsgemäß, aber in einer Art und Weise, die durchblicken ließ, dass drei Bände kaum ausreichen würden, um die abenteuerlichen Tatsachen zu schildern. »Sie dürfen nicht so neugierig sein.«
    Sie fing an, von Paris zu sprechen. Sie liebte die Boulevards und den Bois. Jede Straße war voll Anmut, und die Bäume in den Champs-Élysées hatten einen Adel, der Bäumen an andern Orten fehlte. Sie saßen auf einem Holzbalken in der Nähe der Straße, und Miss Wilkinson blickte mit Verachtung auf die stattlichen Ulmen, die vor ihnen aufragten. Und die Theater! Die Stücke waren geistreich und das Spiel unvergleichlich. Sie hatte Madame Foyot, die Mutter ihrer Zöglinge, häufig in die Modesalons begleitet.
    »Wie schrecklich ist es doch, arm zu sein!«, rief sie. »All die schönen Dinge – nur in Paris versteht man, sich anzuziehen –, und nicht imstande zu sein, sie zu kaufen! Die arme Madame Foyot, sie hatte keine gute Figur. Manchmal flüsterte mir die Schneiderin zu: ›Ah, Mademoiselle, wenn sie nur so gewachsen wäre wie Sie!‹«
    Philip merkte nun, dass Miss Wilkinson kräftige Rundungen hatte und stolz darauf war.
    »Die englischen Männer sind so dumm. Sie achten nur auf das Gesicht. Die Franzosen, die etwas von der Liebe verstehen, wissen, wie viel wichtiger die Figur ist.«
    Philip hatte nie vorher über diese Dinge nachgedacht, aber er bemerkte nun, wie dick und unschön Miss Wilkinsons Knöchel waren. Rasch wandte er seine Augen ab.
    »Sie sollten nach Frankreich gehen. Warum gehen Sie nicht auf ein Jahr nach Paris? Sie würden Französisch lernen, und es würde Sie déniaiser. «
    »Was ist das?«, fragte Philip.
    Sie lachte verschmitzt.
    »Das müssen Sie im Wörterbuch nachschlagen. Engländer wissen nicht, wie man mit Frauen umgeht. Sie sind so schüchtern. Schüchternheit ist etwas Lächerliches bei Männern. Sie wissen nicht, wie man eine Frau verführt, können einer Frau nicht einmal sagen, dass sie reizend ist, ohne ein dämliches Gesicht zu machen.«
    Philip fühlte sich sehr betroffen. Miss Wilkinson erwartete offenbar ein anderes Benehmen von ihm, und er hätte mit Freuden galante und geistreiche Dinge gesagt, wenn ihm nur welche eingefallen wären. Und wenn ihm doch etwas einfiel, fürchtete er, sich lächerlich zu machen.
    »Oh, wie habe ich Paris geliebt«, seufzte Miss Wilkinson.
    »Aber ich musste nach Berlin gehen. Ich blieb bei den Foyots, bis die Mädchen verheiratet waren, dann bot sich mir die Stelle in Berlin. Es sind Verwandte von Madame Foyot, und da habe ich angenommen. Ich hatte eine winzige Wohnung in der Rue Bréda, im cinquième – sehr unpassend. Sie wissen doch, was die Rue Bréda ist – ces dames – Sie wissen schon…«
    Philip nickte, ohne eine Ahnung zu haben, was sie meinte, aber er wollte sich nicht unwissend zeigen.
    »Aber mir war das gleich. Je suis libre, n’est-ce pas? « Sie sprach sehr gerne Französisch und sprach es auch wirklich gut. »Einmal hatte ich ein ganz komisches Erlebnis dort.«
    Sie hielt ein wenig inne, und Philip drängte sie, es zu erzählen.
    »Sie wollten mir Ihre Erlebnisse in Heidelberg auch nicht erzählen«, sagte sie.
    »Ach, die waren so uninteressant«, entgegnete er.
    »Was Mrs.   Carey sagen würde, wenn sie wüsste, über was für Dinge wir uns unterhalten!«
    »Von mir wird sie es bestimmt nicht erfahren.«
    »Wollen Sie mir das versprechen?«
    Nachdem er es getan hatte, erzählte sie ihm, wie ein junger Maler, der ein Zimmer im Stockwerk über ihr bewohnte – aber sie unterbrach sich.
    »Warum werden Sie

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