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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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früh triumphiert. Kurz bevor sie zu Bett ging, rief sie den Burschen zu sich.
    »Emil, wenn Fräulein Cäcilies Koffer fertig ist, schaffst du ihn lieber heute noch die Treppe hinunter. Der Träger wird ihn vor dem Frühstück abholen.«
    Der Bursche ging, kam aber gleich wieder zurück.
    »Fräulein Cäcilie ist nicht auf ihrem Zimmer, und ihre Handtasche ist weg.«
    Mit einem Schrei stürzte die Frau Professor hinaus. Der Koffer stand fertig verschnürt und verschlossen da, aber die Handtasche war fort, ebenso Hut und Mantel. Der Toilettentisch war leer. Schwer atmend rannte die Frau Professor hinunter in das Zimmer des Chinesen. Zwanzig Jahre hatte sie sich nicht mehr so schnell bewegt, und Emil rief hinter ihr her, doch vorsichtig zu sein und nicht zu fallen; ohne anzuklopfen riss sie die Tür auf. Die Zimmer waren leer. Das Gepäck war fort, und die noch offene Gartentür zeigte, auf welchem Wege es weggeschafft worden war. In einem Kuvert auf dem Tisch lag das Geld für die Monatsrechnung und eine geschätzte Zuschlagssumme für die Nebenausgaben. Mit einem Stöhnen, auf einmal von ihrer Hast überwältigt, sank die Frau Professor auf das Sofa. Es gab keinen Zweifel. Die beiden waren miteinander durchgebrannt. Emil blieb ungerührt.
    31
     
    Hayward war, nachdem er einen Monat lang angekündigt hatte, dass er am nächsten Tag in den Süden fahren wollte, und es von Woche zu Woche hinausgeschoben hatte, aus purer Unfähigkeit, sich zu den Beschwerlichkeiten des Kofferpackens und der Reise zu entschließen, endlich knapp vor Weihnachten aufgebrochen. Er konnte den Gedanken an ein teutonisches Fest nicht ertragen. Er bekam Gänsehaut, wenn er an den aggressiven Frohsinn dieser Zeit dachte, und um dem zu entrinnen, beschloss er, an Heiligabend zu reisen.
    Philip bedauerte nicht, von ihm Abschied zu nehmen, denn seine Unschlüssigkeit hatte ihn gereizt und geärgert. Trotz Haywards großem Einfluss auf ihn sah er nicht ein, dass Unentschlossenheit auf ein charmantes Feingefühl schließen lassen sollte. Außerdem nahm er ihm die leicht ironische Art, mit der Hayward auf sein geradliniges Wesen herabblickte, übel. Sie korrespondierten miteinander. Hayward war ein wunderbarer Briefschreiber und verwandte, um sein Talent wissend, große Mühe auf seine Briefe. Er war sehr empfänglich gegenüber allen Eindrücke, die sich ihm boten, und es gelang ihm, seinen Briefen aus Rom einen Hauch von Italien mitzugeben. Er fand die Stadt der alten Römer etwas vulgär und konnte nur in der Dekadenz des Imperiums eine gewisse Distinktion entdecken; aber das Rom der Päpste sagte ihm zu, und aus seinen gewählten Worten erstand eine ganz bezaubernde Rokokoschönheit. Er schrieb über alte Kirchenmusik und die Albaner Berge, über den schwülen Duft des Weihrauchs und den Zauber der Straßen bei Nacht, im Regen, wenn das Pflaster glänzte und das Licht der Straßenlaternen geheimnisvoll schimmerte. Vielleicht schrieb er die gleichen wunderbaren Briefe an mehrere seiner Freunde. Er wusste nicht, welch betörende Wirkung sie auf Philip hatten; sie ließen ihm sein eigenes Leben sehr eintönig erscheinen. Mit dem Frühling wurde Hayward dithyrambisch. Er schlug vor, dass Philip nach Italien kommen sollte. In Heidelberg vergeudete er seine Zeit. Die Deutschen wären grob, und das Leben dort wäre gewöhnlich: Wie konnte in einer solch spröden Gegend die Seele zu sich selbst finden? In der Toskana streute der Frühling Blumen übers Land. Philip wurde neunzehn Jahre alt; er sollte doch kommen, und sie würden miteinander durch die Bergstädte Umbriens wandern. Ihre Namen sanken in Philips Herz. Auch Cäcilie war mit ihrem Liebhaber nach Italien gegangen. Wenn er an diese beiden dachte, wurde Philip von einer inneren Unruhe erfasst, die er sich nicht erklären konnte. Er verwünschte sein Schicksal, weil er kein Geld hatte, um zu reisen, und er wusste, dass sein Onkel ihm nicht mehr schicken würde als die fünfzehn Pfund, auf die man sich geeinigt hatte. Er hatte nicht sehr gut mit seinem Geld gewirtschaftet. Die Pension und die Ausgaben für seinen Unterricht brauchten den Großteil auf, und das Umherziehen mit Hayward hatte sich als ziemlich teuer erwiesen. Hayward hatte oft einen Ausflug, einen Theaterbesuch oder eine Flasche Wein vorgeschlagen, wenn Philip mit seinem Monatsgeld bereits am Ende war; und mit der Torheit seines Alters hatte er sich gescheut einzugestehen, dass er sich die Zerstreuungen nicht leisten

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