Der Menschenjäger
die Kerkermauern zurück. Und in dem schrecklichen Land ohne Boden tat sich ein Eiland auf, ein neues Licht hell und weiß. Aus ihm wurde das Antlitz eines Weibes, jung und von betörender Reinheit. Die vollen, blutroten Lippen öffneten sich, formten eine Botschaft, die er nicht verstand. Nur eine Ahnung war in ihm von unvorstellbarer Weisheit und von Ewigkeit. Die schwarzen Augen des Weibes wurden zu lebenden Teichen, in denen er zu versinken drohte. Sie schlugen ihn nicht so in ihren Bann, wie dies Fronjas Bildnis vermocht hatte. Sie lockten und stießen zugleich zurück, weckten unstillbare Sehnsucht in ihm, doch nicht nach dem Weib, dem sie gehörten. Es war etwas anderes – das, was aus ihnen sprach.
Es rief nach ihm, dem Sohn des Kometen. Es warnte, doch er verstand nicht, wovor. Es verhieß, doch er fand nicht, was. Er gierte danach, in diesen Augen zu versinken und alle Geheimnisse zu erfahren. Warum konnte er es nicht? Was stand zwischen ihm und…?
Er sah eine Gestalt, ein Gesicht. Er erkannte Phanus, der mit seinen Begleitern gekommen war, um der Lichtwelt von der Rückkehr des Kometen zu künden, doch Phanus war nur ein Diener, ihr Diener.
Die plötzliche Erkenntnis machte sich Luft in einem Schrei: Gwasame e!
Gwasamee, die Kometenfee, die ihm in der Gruft hinter den Fällen von Elvinon erschienen war und sein Schicksal vorausgesagt hatte! Gwasamee, die eine von allen Kometenfeen, der es gegönnt gewesen war, über ihre Zeit hinaus auf der Lichtwelt zu wirken, die auf ihn gewartet hatte, um ihn zu weisen!
Der lautlose Schrei ließ die Kerkermauern zerbröckeln, teilte die Finsternis und ließ Mythors Geist zurücktauchen an die strahlenden Gestade des Lichtes.
*
»Gwasamee!«
Mythor schlug die Augen auf, sah Heeva, die das Gläserne Schwert auf seine Brust herabzusenken sich anschickte, und schlug es zurück. Mit einem Ruck kam er in die Höhe. Alle seine Glieder schmerzten, doch der kurz noch verspürte Schwindel ließ nach. Die Kraft strömte in seinen Körper zurück. Seine Lungen füllten sich mit kühler, frischer Luft.
Fronja warf sich auf ihn, Tränen in den großen Augen. Mythor legte die Arme um sie. Das Fühlen ihres warmen Leibes war wie das endgültige Erwachen aus einem tiefen Schlaf, angefüllt mit verwirrenden Träumen – doch waren es nur Träume gewesen?
Die Stimmen der Freunde brachten ihn schnell in die Wirklichkeit zurück. Fronja, Scida und Nadomir sprachen durcheinander, derweil sich Heeva zu Lankohr zurückzog. Fast schien es ihm, als zeigte sich Bitterkeit in ihren Zügen.
»Du lebst, Mythor!« brachte Fronja überschwenglich hervor. »So ist es Nadomir gelungen, dich vom Bösen zu befreien.« Sie stockte, richtete sich auf und sah ihn nun streng an. »Was hast du da geschrien? Wer ist Gwasamee?«
Er konnte sich nicht daran erinnern, ihren Namen gerufen zu haben, wohl aber an den Traum und an die Gruft. Ihm war in diesen Augenblicken auch nicht danach, Fronjas Fragen zu beantworten, zumal ihr Argwohn gänzlich unbegründet sein mußte. Gwasamee war nicht ein Wesen von dieser Welt gewesen. Das Gift mußte ihm Dinge vorgegaukelt haben, die so unwirklich waren wie die Lage, in der er und die Freunde sich befanden. Er erinnerte sich wieder an alles, und nichts zählte mehr, als Carlumen zu erreichen.
Nadomir blickte ihn an, als habe er ihm das schönste Geschenk seines Lebens gemacht, als er nun vom Mooslager aufsprang. Mythors Hand strich über seine Brust. Die Narbe war verschwunden. Scida nahm den Fuß aus dem aus einer der Höhlenwände herabrieselnden Staub, der ihn gerade bedeckte, ließ sich von Heeva das Gläserne Schwert geben und reichte es ihm.
»Den Göttern sei Dank«, flüsterte sie ergriffen. »Nadomir hat das Wunder vollbracht, ehe die Aasin eingreifen mußte.«
»Von mir hörst du nichts mehr«, sagte der Troll auf den fragenden Blick hin. »Ich habe gesagt, was zu sagen war. Ihr habt mich ausgelacht, aber wartet nur ab.«
Fronja strich ihm lächelnd über die Haarmähne. Dann wieder sah sie Mythor prüfend an.
»Fühlst du dich stark genug, um den Abstieg fortzusetzen?«
Er nickte nur. Dabei sah er Gerze, deren Fleischwunde am Bein ebenso verheilt war wie seine Verletzung. Nadomir zuckte die Schultern.
»Ihr Lebensfleck war leicht zu finden«, erklärte er.
*
Hatte Mythor gehofft, die Höhle befände sich vielleicht schon nahe dem unteren Ende der Wand, so sah er sich bitter enttäuscht. Der mühevolle Abstieg wollte kein Ende nehmen. Immer
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