Der Menschenjäger
wieder mußten die Kletterer rasten, soweit es die Lage zuließ. Dazu bedurfte es nicht nur eines Vorsprungs oder weiterer Spalten, sondern auch und vor allem der Sicherheit vor dem dämonischen Kleingetier, das sich hier im Fels eingenistet hatte.
Wohl niemand konnte sagen, wieviel Zeit zwischen den einzelnen Ruhepausen verging. Manchen kamen die Abstände vor wie Tage – doch wie lang war ein Tag? Hier in der Schattenzone, wo niemals das Licht der Sonne einfiel, wo nur der stete Wechsel zwischen unheimlichen Leuchterscheinungen und völligem Dunkel herrschte, war fast schon vergessen, wie vieles man tun konnte zwischen dem Aufgehen und dem Versinken der Sonne, draußen in der Welt des Lichtes.
So ging es weiter, immer tiefer hinab, als entspränge die senkrechte Wand gar der untersten Sprosse der Finsternis selbst. Und je weiter hinab die Gefährten gelangten, desto grausiger wurden die Kreaturen der Nacht. Sie mußten sich blitzschnell aus Felslöchern herauszuckender, winziger Fangarme erwehren, dann wieder kleiner krebsartiger Wesen, die einige gezielte Hiebe jedoch schnell wieder in ihre Verstecke zurücktrieben.
Dann endlich kehrte Robbin, der sich, gelenkiger als alle anderen, nun immer wieder kundschaftend etwas weiter nach unten vorwagte, mit der Nachricht zurück, das Nichts sei erreicht. Was seine Worte zu bedeuten hatten, wurde Mythor klar, als er mit den Füßen keinen Halt mehr fand. Die Felswand hörte übergangslos auf. Nur mit den Händen klammerte er sich noch fest, als er nun unter sich kein Land, keine Insel, keine treibenden Staubschleier und keine Nebel mehr sah. Dort war nichts mehr, wie von Robbin bereits früher vorausgesagt.
Dann aber wies des Pfaders Hand in eine bestimmte Richtung, und Mythor konnte zwei, drei fingerdicke Fäden erkennen, die von innen heraus zu leuchten begannen, je länger er hinsah. Sie schienen aus dem Fels von Phryl-Dhone zu wachsen und endlos in die Tiefe zu fallen.
Gerrek sagte zwar nichts, seinem Vorsatz getreu, doch sein Klagen und Jammern war schlimm genug. Immer mehr Fäden hoben sich leuchtend aus dem Dunkel hervor, nun genug, um jeweils ein Mitglied der Gruppe zu tragen. Mythor spürte die Zweifel, die ihm von den Amazonen entgegenschlugen. Er hatte wenig Lust, sich auf langes Gerede einzulassen, und machte den Anfang.
Die Fäden trieben leicht unter dem Fels, wurden wie von leichten Winden hin und her bewegt. Als einer direkt unter dem Gorganer war, stieß er sich mit den Händen ab, fiel für zwei, drei Herzschläge ins Bodenlose. Dann packte er mit beiden Händen gleichzeitig den Strang und klammerte sich daran fest. Noch einmal mußte er bangen, als der Ruck den Faden aus seiner Verankerung zu reißen drohte. Doch er hielt.
»Sie sind stark genug!« rief er zu den anderen hinauf. »Ich könnt nachkommen!«
Noch immer zögerten sie, bis auch Fronja sprang. Mythor wartete, bis sie auf gleicher Höhe mit ihm war, zum besseren Halt ihr Seil um die Wade geschlungen. Nacheinander nun folgten die Amazonen, Aasen und Robbin, der sich Nadomir unter den Arm geklemmt hatte. Er zog für ihn einen Strang heran. Siebentag war noch in der Wand, ebenso wie Gerrek. Als der Kannibale des Beuteldrachen Gezeters überdrüssig war, riß er ihn einfach vom Fels los und ließ ihn stürzen.
Als ob Gerreks Geschrei das Mitleid eines der Fäden erregt hätte, schnellte sich ein Strang auf ihn zu und umwickelte ihn blitzschnell. Mythor erstarrte. Welche finstere Macht lebte in den Fäden? Wer oder was lenkte sie? Wem hatten sie sich anvertraut?
Wieder schob er diese Gedanken von sich. Als Siebentag als letzter im Nichts hing, begann er, weiter hinab zu steigen. Eine gute Weile kamen sie alle gut voran, eine Hand unter die andere setzend und sich immer wieder nach allen Richtungen umschauend. Schon schwebte Phryl-Dhone hoch über ihnen, und noch immer war in der Tiefe kein Land auszumachen. Mythor kam sich winzig vor, wie ein Staubkorn, das ein einziger Lufthauch in alle Winde davontragen konnte.
»Wie die Fäden eines riesigen Spinnennetzes!« rief Fronja. »Die Götter mögen uns beistehen, daß wir durch unsere Bewegungen nicht seine Erbauer herbeirufen!«
Doch nicht die vielleicht unter dem Fels von Phryl-Dhone verborgenen Spinnenungetüme waren es, die den weiteren Abstieg jäh unterbrachen, sondern eine andere, schrecklichere Bedrohung.
Hilflos an den Fäden hängend, hörten die Gefährten ein bekanntes Gebrüll und Gekreisch, dann den Schlachtruf des
Weitere Kostenlose Bücher