Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
mit dem Glasauge in Mette Mortensens Mund in Verbindung zu bringen. Gab es da einen Zusammenhang? War es unter Umständen eine gängige Praxis, dass den Toten im Krankenhaus die Augen entfernt wurden? Existierten weitere Fälle, wo Angehörige sonderbare Klumpen in der Asche ihrer Lieben gefunden hatten?
Sie blätterte ihre Notizen von dem Telefonat mit der Witwe aus Lublin durch und suchte danach die Mailadresse des Fotografenkollegen im Kosovo heraus, die ihr Bo gegeben hatte. Es dauerte lange, bis sie die Mail möglichst neutral formuliert hatte. Darin bat sie um die Namen und Mailadressen von Angehörigen der jungen albanischen Journalistin Janet Rugova, die vor zwei Jahren am Stadion Gradski in Priština gefunden worden war.
Sie las den Text mehrere Male durch, bevor sie auf »send« klickte. Mittlerweile war sie mehr denn je davon überzeugt, dass die Morde in Polen und im Kosovo mit dem Mord an Mette Mortensen zu tun hatten.
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|280| Kapitel 41
Auf der Website des Landesverbandes »Leben & Tod« konnte man sich ausführlich darüber informieren, was alles zu einem würdigen Abschied gehörte. Außerdem gab es einen Blankovordruck »Mein Letzter Wille« zum Herunterladen.
Wagner wanderte mit dem Cursor über die Seite, während sich die Fragen in seinem Kopf häuften. In Anbetracht des großen Altersunterschieds war es gar nicht so unwahrscheinlich, dass Ida Marie eines Tages allein dastehen würde. Um das Finanzielle machte er sich keine Sorgen. Aber was würde mit seinem Körper geschehen? Wollte er begraben oder verbrannt werden, oder würde er seine Organe und sonstigen Körperteile spenden?
Er hatte eigentlich den Wunsch, Herr über seinen Körper zu sein, auch nach dem Leben. Aber so wie er die Sache sah, würde sich die Wissenschaft auf einen stürzen, wenn sie dürfte, sobald man den letzten Atemzug getan hatte. War das unethisch oder einfach nur der Geist der Zeit? Wäre es sozusagen eine Bürgerpflicht, anderen die eigene verlassene Hülle zugunsten der Wissenschaften zu übereignen, entweder als Unterrichtsmaterial, zu Forschungszwecken oder als Reserveteillager für kranke Menschen?
Voller Ekel wandte er sich vom Computer ab. Ging es ihm so, weil er an seinen eigenen möglichen Tod denken musste? Oder war das lediglich sein allgemeines Bedenken, welche Bedeutung der Tod in einer Welt hatte, in der alles verwendet und recycelt werden kann?
So voller fröhlicher Gedanken, klickte er weiter auf den Seiten »Beerdigung Dänemark« und »Elysium Bestattungsvorsorge« herum. Dort bekam man den Eindruck, dass der Tod »in« war. Etwas, mit dem sich die jungen Leute in gleicher Weise beschäftigen wie mit Rockmusik oder skandinavischen Krimis.
Vielleicht war ja das Interesse am eigenen Tod das ultimative Symptom dieser individualisierten Gesellschaft? Da klopfte es |281| plötzlich an der Tür, und Paul Gormsen kam mit einer Klarsichthülle in der Hand herein.
»Störe ich?«
Wagner nickte mit dem Kopf zum Bildschirm.
»Überhaupt nicht. Ich organisiere gerade meine eigene Beerdigung. Hast du dir darüber schon einmal Gedanken gemacht?«
»Über deine Beerdigung?«
»Nicht meine, deine.«
Gormsens Augenbrauen kletterten bis unter seinen Pony, der wie immer luftig hin und her wippte. Sie kannten sich jetzt seit mehr als fünfzehn Jahren und waren auch etwa so lange privat befreundet. Sie hatten gemeinsam so unzählig viele Obduktionen miteinander überstanden, dass Wagner gar nicht daran denken mochte. Aber sie hatten nie über das Unvermeidliche gesprochen.
»Wenn es so weit ist, werden die Pathologen ihren größten Wunsch erfüllt bekommen, und dann dürfen sie meinen Kopf spalten und mir das Herz herausschneiden«, sagte Gormsen sanft. Er spielte auf den uralten, ewigen Streit der Disziplinen der Rechtsmedizin und der Pathologie in den Räumen des Gerichtsmedizinischen Instituts an.
»Ich spende meinen Körper der Wissenschaft. Das ist nur fair, wenn man bedenkt, dass diese Wissenschaft mich und meine Lieben am Leben erhält und ernährt.«
Wagner nickte.
»Das ist richtig gedacht. Vielleicht sollte ich dann meinen Körper den Serienmördern der Zukunft spenden, damit sie ein bisschen mehr Übung bekommen.«
»Vielleicht«, sagte Gormsen, grinste skeptisch und ließ sich auf den Besucherstuhl fallen. »Warum dieses ganze Gerede über die Sterblichkeit? Du hast dir doch bisher auch noch nie über das Leben nach dem Tod Gedanken gemacht?«
Wagner schloss die Seiten der
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