Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Spätschicht, war allerdings in den vergangenen zwei Tagen nicht zur Arbeit erschienen. Und er hatte sich auch nicht krankgemeldet.
Daraufhin fuhren sie mit einem beklemmenden Gefühl der Niedergeschlagenheit in die Jægersgårdsgade. Wagner wusste bereits, dass sie diesen Kampf verloren hatten, als er den Hund vor der Haustür sitzen saß. Er knurrte, als sie die Tür aufstießen, und stürmte mit hängender Zunge die Treppe hoch.
»Hier stimmt was nicht«, murmelte Hansen auf dem Weg in den dritten Stock. »Der hätte den Hund niemals draußen vor der Tür sitzenlassen. Man kann über ihn sagen, was man will, aber er hat seinen Köter geliebt.«
Wagner, dem es ein Rätsel war, wie man einen Kampfhund lieben konnte, erwiderte nichts.
Die Wohnungstür stand offen, und sie gingen ungehindert hinein. Die beiden Streifenpolizisten betraten den Raum zuerst, kamen aber gleich wieder raus.
»Pfui Teufel, was ist das denn für ein Schuppen. Da ist keiner zu Hause.«
Dann folgten Wagner und Hansen. Es war nichts zu entdecken, |285| keine Anzeichen eines Kampfes. Es ließ sich auch nicht erkennen, dass die Spurensicherung hier vor kurzem alles auf den Kopf gestellt hatte. Alles sah so aus wie vor dem Besuch der Kriminaltechniker. Darauf bildeten sie sich auch eine Menge ein: die Unordnung, die sie anrichteten, in kürzester Zeit wieder in den ursprünglichen Zustand versetzen zu können, damit sich niemand beklagen konnte.
»Wir kommen zu spät«, bemerkte Hansen. Wagner hätte es nicht besser ausdrücken können.
»Wir müssen ihn zur Fahndung ausschreiben«, sagte er.
»Was machen wir mit dem Hund?«, fragte Hansen.
Wagner betrachtete das senfgelbe Muskelpaket, das fiepend durch die Wohnung lief und sein Herrchen suchte. Er konnte mit diesen Hunderassen nichts anfangen, aber er war von dessen Loyalität beeindruckt.
»Ruf im Tierheim an. Die sollen sich darum kümmern.«
»Aber werden die den nicht einschläfern?«
Wagner schüttelte den Kopf.
»Nicht ohne Zustimmung des Besitzers. Die werden sich seiner annehmen, bis Arne Bay wieder auftaucht.«
»Wenn er auftaucht.«
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Kapitel 42
In Wirklichkeit ging sie das alles gar nichts an. Sie sollte sich schön hüten und die Finger davon lassen.
Kiki Laursen saß am Schreibtisch, aß einen Joghurt und sah dabei von ihrem Büro im dritten Stock hinunter auf die Einkaufsstraße in der Søndergade. Ihre Augen brannten, als hätte ihr jemand Sand hineingeworfen. Zwei Tage war es jetzt her, und die Schlaflosigkeit hatte ihre Arme und Beine schwer werden lassen. Die Kopfschmerzen waren zu einem konstanten Begleiter |286| geworden, und ihre Vorräte an Schmerztabletten gingen langsam zur Neige.
Sie griff nach dem Becher Kaffee, in der Hoffnung, einen klaren Kopf zu bekommen. Die Stunden, seit sie von dem Polizisten auf dem Motorrad angehalten worden war, hatte sie in einem sonderbaren Zustand verbracht, den sie nicht mit Worten beschreiben konnte.
Als ihr endlich klargeworden war, dass sie nichts mehr tun konnte und der Van vom Erdboden verschwunden war, hatte sie sich auf den Heimweg gemacht. Im Haus war alles still und friedlich gewesen. Die Kinder schliefen längst, und auch ER lag in ihrem Ehebett und schnarchte leise vor sich hin. Ihr rotes Kleid, das schwarze Unterkleid und ihr Slip lagen noch auf dem Boden verstreut, die hochhackigen roten Pumps waren unters Bett gerollt. Lange hatte sie neben IHM gestanden und IHN angesehen. Ein seltenes Gefühl der Zärtlichkeit hatte sich in ihr ausgebreitet. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Unschuldiges ausgestrahlt, wie ER da so mit leicht geöffneten Lippen lag und schlief. Seine Haut war blass und glatt, obwohl ein leichter Bartschatten zu erkennen war. Die Wimpern lagen lang und samtweich auf den Wangen. Vorsichtig hatte sie die Decke höher gezogen und sich auf die Bettkante gesetzt, während die Verfolgungsjagd und ihr abruptes Ende in ihrem Kopf herumspukten. Wo um alles in der Welt war sie da hineingeraten?
Diese Gedanken waren auch viele schlaflose Stunden später noch dieselben. Sie hatte die Wahl: Sie konnte entscheiden, das Geschehene einfach zu ignorieren. Und sich auf ihr Leben und ihre Karriere konzentrieren, auf die Firma, die sie selbst aufgebaut hatte und mit großem Erfolg führte. Aber in ihr arbeitete es unaufhörlich. Sie empfand ein Verlangen, das sie nicht empfinden wollte, für das sie sich schämte und das an ihr zerrte und riss und ihr Weltbild auf den Kopf stellte. Sie wusste es und
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