Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
hatte er sich verdammt noch mal dabei gedacht? Dass sie damit fuchtelnd herumrannte und Räuber und Gendarmen spielte und ihn aus seinem Kerker und vor seiner gerechten Strafe rettete?
Lauter Flüche und Verwünschungen fielen ihr ein, während sie spürte, wie ihre Hände feucht wurden und ihr Herz hämmerte. Aber da war noch was anderes. Ein Gefühl, das durch ihren Körper wanderte und ein Prickeln im Unterleib verursachte. Das sich so anfühlte, als wäre ihre Haut übersät mit kleinen, empfindsamen Rezeptoren, und das aus ihrem Rücken in seiner gesamten Länge eine geschlossene erogene Zone machte.
Sie nahm das Buch und blätterte darin herum. Was hatte das zu bedeuten? Es gab keinen Brief, keinen schriftlichen Hinweis von ihm. Nur ein Buch, ein volles Magazin und eine Pistole.
Das Buch war im Jahr 1993 von der Blitz Editions herausgegeben worden und in der Slowakei gedruckt worden. Die Firma Aerospace Publishing Ltd. hatte das Copyright, aber sie hatte keine Ahnung, ob das eine tiefere Bedeutung hatte. Was war von diesen Dingen überhaupt von Belang? Es musste einen Grund haben, warum er ausgerechnet dieses Buch in den Umschlag gesteckt hatte.
Beim Durchblättern begriff sie schnell den Aufbau des Buches. Der Leser wurde mit den verschiedensten kriegsähnlichen Szenarien konfrontiert und gefragt, wie er diese Situation lösen würde. Wenn beispielsweise ein Panzer auf einen zugerollt kam, lautete die Frage: »Wie stoppen Sie den Vorstoß des Feindes?« Würde man von einer Gruppe mit Handfeuerwaffen unter Beschuss genommen, sollte man beantworten: »Wie würden Sie deren Position angreifen?« Wenn man selbst als Heckenschütze |290| eingesetzt war: »Wie verhindert man den Rückzug des Feindes in freundlich gesinnte Stellungen?«
Sie blätterte wahllos zwischen den Seiten hin und her. Aber das Konzept blieb dasselbe. Man wurde mit einem Szenario konfrontiert, bekam die Parameter genannt und wurde gefragt, wie man das Problem lösen würde. Luftangriff, Attacke aus dem Hinterhalt auf einer Landstraße, Terrorangriff, Überleben in extremen Temperaturen und Invasion eines Guerillalagers. Es war kein Ende der Gefahren in Sicht. Auch die Fragen nahmen kein Ende, aber sie konnte nichts mit ihnen anfangen.
Sie klappte das Buch zu und betrachtete die Vorderseite, wo ein Mann im Kampfanzug und mit Handgranate und Pistole bewaffnet aus dem Buchdeckel herauszuspringen schien, um dem Betrachter an die Gurgel zu fahren. Wozu in aller Welt sollte das nütze sein?
Erst als sie ein zweites Mal durch die Seiten blätterte, bemerkte sie es. Es war so unauffällig, dass sie es zuerst übersehen hatte. Sie holte ihre Lesebrille vom Schreibtisch, um es besser erkennen zu können.
Neben einigen der Buchstaben hatte jemand mit einem Bleistift Punkte gemacht. Nicht viele auf einer Seite, nur ab und zu einen Punkt hier und einen dort. War das ein Code? Sie war doch paranoid. Ihr erster Impuls war, das Buch in die Ecke zu schleudern, aber wie so oft zuvor gewann der unwiderstehliche Reiz des Abgrundes.
Sie setzte sich an den Schreibtisch, dabei fiel ein Blatt Papier zwischen den Seiten heraus und zu Boden. Sie hob es auf, zündete sich eine Zigarette an und sah sich den Zettel genauer an. Er trug die Überschrift: »Tunnelplan«. Es war ein Plan des Tunnelsystems unter dem Städtischen Krankenhaus, und an einer Stelle mitten im Labyrinth der Gänge war ein Kreuz eingezeichnet.
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|291| Kapitel 43
Das Haus fühlte sich leer und verlassen an ohne Bo, als sie am späten Nachmittag heimkam. Nur Svendsen hieß sie mit größerem Überschwang willkommen. Sie kniete sich vor ihm hin und genoss die stürmische Begrüßung. Obwohl es regnete, befestigte sie die Leine an seinem Halsband, um einen Spaziergang zu machen. Zuerst durch Kasted und dann hinunter zum Ried, wo die Nachtigallen ihre letzten Verse so kurz vor Mittsommer trällerten.
Aber der kleine Ausflug, der eine Wohltat sein sollte, wurde zu einer beklemmenden Tour. Bäume und Büsche verwandelten sich in bedrohliche Schatten. Die Wolken hatten den Himmel bis tief auf den Boden gedrückt, und Licht und Sonne verbargen sich hinter dieser grauen Wand. Es kam ihr vor, als würde sogar die Natur sie vor dem Bevorstehenden warnen wollen und sie davon abbringen, sich auf Boutrup einzulassen und so den Stadion-Fall lösen zu wollen. Er ist gefährlich für dich, hörte sie die Stimmen sagen.
Er ist dein Sohn, raschelte es aus den Baumwipfeln. Glaubst du wirklich, du
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