Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
alles noch viel schlimmer.
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Kapitel 66
Die Kirche war fast leer.
Nur Winkler und seine Nichte Alice, die er kurz vorstellte, waren anwesend, daneben der Küster, sein Gehilfe und die Kriminalbeamten Jan Hansen und Arne Petersen, die sich diskret in eine der hinteren Reihen setzten. Außerdem waren einige wenige, muskelbepackte Glatzköpfe in kurzen, schwarzen Bomberjacken und mit Tätowierungen erschienen, die sich abseits hielten. Und zu guter Letzt hatten noch zwei Männer auf unterschiedlichen Bänken Platz genommen, die allem Anschein nach aber zusammengehörten. Der Geheimdienst war gekommen; das vermutete Dicte zumindest angesichts ihrer auffällig unauffälligen Trenchcoats und Gesundheitsschuhe.
Sie nickte den beiden Kriminalbeamten zu und schlich sich in eine der mittleren Bankreihen. Es war die Pflicht der Beamten, hier zu sein. Mitunter geschah es, dass ein Mörder bei der Beerdigung seines Opfers erschien, aber gleichzeitig waren sie auch aus Gründen des Respekts und des Protokolls hier. Der Geheimdienst dagegen sollte lediglich die rechtsextreme Szene überwachen. Sie hatten kein Interesse an einem eventuell auftauchenden Mörder.
Während der Pfarrer irgendetwas Neutrales herunterleierte, dachte Dicte an die andere Beerdigung, die von Dorothea Svensson, die früher im Sommer stattgefunden hatte, als der Stadion-Fall |421| seinen Anfang nahm. Wie unterschiedlich der Abschied vom Leben doch sein konnte. Damals war die Stimmung bedrückt, aber gleichzeitig auch warmherzig und schön gewesen. Es hatte Tränen gegeben.
Diesmal war es anders. Die Gesichter verrieten nichts als Härte und Gleichgültigkeit, mit Ausnahme Winklers, dem sie zu Beginn die Hand geschüttelt hatte. Mit feuchten Augen und einem wehmütigen Lächeln hatte er ihr dafür gedankt, dass sie gekommen war.
Die Zeremonie verlief ruhig und geordnet, Dicte hielt sich im Hintergrund. Anschließend wurden die Blumen auf den anonymen Grabplatz gelegt, wo die Urne nach der Verbrennung beigesetzt werden würde.
Als der Trauerzug dem Sarg zum Leichenwagen folgte, sondierte sie das Terrain, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken und hatte auch nicht damit gerechnet. So dumm würde er wohl kaum sein.
»Kommen Sie mit uns? Wir trinken noch einen Kaffee bei Alice zu Hause«, sagte Winkler, nachdem der Leichenwagen weggefahren war.
Sie brachte es kaum übers Herz, schlug seine Einladung aber dennoch mit der Begründung aus, dass sie noch einen Artikel fertigstellen müsse. Dann beobachtete sie, wie alle nach und nach in ihren Autos verschwanden. Auch der Geheimdienst und die beiden Kriminalbeamten. Sie kamen auch gar nicht auf die Idee, noch länger zu warten. Außerdem hatte Wagner anderes mit ihnen vor. Er plante einen Einsatz, bei dem sie an mehreren Orten gleichzeitig zuschlagen sollten, und Dicte hatte dafür gesorgt, dass Bo und Helle von Anfang an dabei waren. Bo hatte sich beschwert und gefragt, was sie selbst in dieser Zeit zu tun hätte, hatte dann aber ihre Erklärung mit der Beerdigung und dem eiligen Artikel akzeptiert. Außerdem schien er für Helles Charme und ihre grenzenlose Bewunderung ihm gegenüber nicht ganz unempfänglich.
|422| Sie sah den letzten Gästen nach und merkte sich das knirschende Geräusch von Kies unter Autoreifen, als der Wagen des Geheimdienstes vom Parkplatz fuhr. Sie sah auf ihre Uhr. Es war erst vier. Ihr würde noch eine lange Wartezeit bevorstehen.
Sie ging zu ihrem Auto zurück und packte ihre Utensilien aus: einen kleinen Klappstuhl, eine Decke sowie eine Tasche mit einer Thermoskanne Kaffee, einem Fläschchen Cognac und einigen Sandwiches. Im Auto zog sie sich um, wechselte Rock und hochhackige Schuhe gegen Jeans und Turnschuhe ein. Sie hatte auch ein Buch dabei sowie eine Taschenlampe und zwei Messer, die sie in einem Jagd- und Fischereibedarf gekauft hatte. Eines davon befestigte sie in einer Messerscheide an ihrer Jeans, das andere band sie sich stramm um die Wade, sodass es von der Hose bedeckt wurde. Sie zog einen Pullover und eine dunkle Windjacke über – der Himmel war grau, ein dänischer Sommer mit Aussicht auf vereinzelte Schauer – und trabte auf der Suche nach einem geeigneten Platz über den Friedhof.
Den fand sie recht schnell, mitten auf einer großen Grabstätte, die hoch und dicht bewachsen war und von der aus sie einen Ausschnitt des anonymen Grabfeldes mit den frischen Blumen und den wenigen Abschiedsgrüßen für Arne Bay sehen konnte. Sie platzierte
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