Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
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|440| Kapitel 71
»Sie sagen, dass sie froh sein könne, bereits Kinder bekommen zu haben. Sie mussten alles entfernen und ihr vorübergehend einen künstlichen Darmausgang legen.«
Bo verzerrte das Gesicht, als ob ihm das selbst Schmerzen verursachte, und steckte sich seinen mitgebrachten
Herald Tribune
unter den Arm.
»Und sonst?«, wollte er wissen, als sie das Krankenhaus verließen. »Drei Wochen auf der Intensivstation. Ob sie jemals wieder derselbe Mensch wird?«
Dicte nickte, während sie über seinen Ausdruck nachdachte. War man eigentlich überhaupt jemals »derselbe Mensch« wie am Tag zuvor? Würde sie wieder dieselbe werden? Und Kiki Laursen? Sie hielt das für unwahrscheinlich.
»Sie macht einen zähen Eindruck.«
Bo legte einen Arm um Dictes Schulter und trug die Zeitung in der anderen Hand.
»Sieh an, das erinnert mich an das eine oder andere …« Sie schüttelte den Kopf, während sie über den Parkplatz schlenderten.
»Meine drei Luxustage im Krankenhaus kannst du jedenfalls kaum mit der Hölle vergleichen, die sie durchgemacht haben muss. Das wäre kein fairer Vergleich.«
»Einverstanden. Aber hör mal, hattest du nicht noch ein weiteres Anliegen? Jetzt, wo wir schon mal hier sind?«
Sie hatte es hinausgezögert. Wenn Bo nicht gewesen wäre, hätte sie es sogar noch etwas länger vor sich hergeschoben, aber sie konnte dem Ganzen einfach nicht entgehen. Sie sah zum Gebäude 6 hinüber, das ein Stück entfernt lag. Dann blickte sie auf den Parkplatz, wo sie die Konfrontation mit Anne und Torsten erlebt hatte. Anne hatte sie schon längst angerufen und über die Affäre aufgeklärt, die schon vor vier Jahren begonnen hatte, als man ihr einen Tumor aus der Brust entfernt hatte und sie auf der |441| Suche nach Anerkennung gewesen war, die sie in Torstens Armen gefunden hatte. Dicte fühlte sich noch immer hintergangen und war enttäuscht, doch das Gefühl verflüchtigte sich mit der Zeit. Eines Tages würden Anne und sie wieder zueinander finden.
»Komm schon. Es ist an der Zeit, es hinter dich zu bringen.«
Bo lenkte sie in Richtung Dialysestation.
»Was für eine Geschichte mit diesem Chirurgen«, bemerkte er.
Dicte nickte. Es war vor kurzem herausgekommen, und das Krankenhaus stand nun schon seit einer Woche im Fokus der Medien. Ein renommierter Nierenchirurg hatte zugegeben, dass er seiner Freundin auf alles andere als legalem Wege zu neuen Hornhäuten verholfen hatte. Man hatte einen Zusammenhang mit dem Fall des illegalen Organhandels hergestellt, und zwei dänische Augenkliniken waren bereits geschlossen worden, während die Polizei weiter ermittelte. Der Chirurg war von seinem Posten zurückgetreten.
»Aber wenn er seinen Mund nicht aufgemacht hätte, dann hättet ihr vielleicht niemals eine Verbindung nach Dänemark nachweisen können?«
»Ihr?«, fragte sie. »Ich habe schon lange nichts mehr mit der Sache zu tun. Nicht, seit ich den Artikel über das Sargdepot am Engsee geschrieben habe.«
»Nein, aber du hast die Fäden in der Hand und entscheidest, welche Artikel die anderen schreiben, Fräulein Chefredakteurin.«
Sie knuffte ihn in die Seite. Er fasste sie am Arm und zog sie dann an sich.
»Ich warte in der Kantine. Und wag es ja nicht, wieder mit irgendeiner fixen Idee zurückzukommen, irgendeinen Teil von dir wegzugeben. Du gehörst mir, vergiss das nicht. Mit Haut und Haaren und mit deiner ganzen verteufelten Sturheit.«
Er küsste sie. Ganz behutsam, weil er wusste, dass sie noch immer Schmerzen hatte. »Du bist kaum zu ertragen, aber ich |442| liebe dich, verdammt noch mal. Wäre das nicht ein guter Spruch für meinen Grabstein?«
»Du hast doch hoffentlich nicht vor, als Erster von uns beiden den Löffel abzugeben? Das wäre ja wohl ziemlich armselig. Immerhin bist du jünger als ich.«
»Um Gottes willen, nein«, sagte er. »Ich werde nicht riskieren, dass mir jemand die Haut abzieht und meine Knochen entfernt, damit irgendein Taugenichts mit meinem Arsch im Gesicht herumläuft oder gar ein reicher und berühmter Fotograf wird, weil er durch meine Hornhäute sieht.«
Sie war kurz davor, zu lachen, wurde dann jedoch ernst.
»Dazu wird niemand das Recht erhalten. Das schwöre ich. Es sei denn, du willst es anders. Um der Menschheit etwas Gutes zu tun. Mal ganz ernsthaft, ich überlege nämlich gerade selbst, nach meinem Tod auf diese Weise Verantwortung zu übernehmen.«
Er schubste sie sanft von sich weg.
»Ich werde darüber nachdenken.«
Während sie
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