Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
jungen Neonazis verwendet. Sehr interessant im Zusammenhang mit dem Fundort.«
Nachdem Kaiser den Anblick der Toten verarbeitet hatte, untersuchte er kurzsichtig die Aufnahme und sah sie dann an.
»Rechtsextreme Fußballfans. Davon habt ihr hier in der Stadt einige, habe ich gehört.«
Sie nickte. Århus hatte sich in letzter Zeit zu einer Brutstätte dieser Typen entwickelt, kürzlich war es sogar zu einem Überfall eines linken Cafés durch die Nazis gekommen.
Kaiser stand auf und begann seine Kreise im Raum zu ziehen. Sie wusste, was kommen würde. Die Saure-Gurken-Zeit hatte bereits begonnen, und auf gute Geschichten zu stoßen war, als würde man versuchen, eine unreife Zitrone auszupressen.
»Wollen wir nicht versuchen, eine Bestandsaufnahme der verschiedenen Gruppierungen zu machen? Wie rekrutieren sie ihre Mitglieder, was sind ihre Ansichten, wie viele gibt es? Sympathisanten, |49| Aktivitäten, Erkennungszeichen … das ganze Programm.«
»Das ist aber eine große Nummer«, sagte Bo, der plötzlich aus dem Gang auftauchte. »Und nicht ungefährlich. Diese Milieus sind ziemlich abgeschottet, und der Geheimdienst hat da auch seine Finger drin.«
Otto Kaiser neigte seinen Kopf zur Seite und sah aus wie eine verwöhnte Katze.
»Dann ist das doch genau das Richtige für euch!«
Eindringlich sah er Bo an, dessen Pferdeschwanz sich im Laufe der Pressekonferenz gelöst hatte. Die Kleidung des Tages bestand wie so oft aus Cowboystiefeln, Jeans und einem verwaschenen T-Shirt mit der Aufschrift »Sex is God«.
»Haare abrasiert, Camouflageoutfit, ein Hakenkreuz auf den Oberarm und fertig ist die Laube.«
Bo lächelte sein »Dream-on«-Lächeln. Dicte lehnte sich gegen den Tresen der Küche und überlegte, welche exotische Verehrerin ihm vor Ewigkeiten dieses Shirt geschenkt hatte.
»Wie ist eigentlich die Suche nach deinem Sohn, dem Erstgeborenen, gelaufen?«, fragte Kaiser.
Sie hatte gewusst, dass die Frage kommen würde. Schließlich hatte sie selbst dieses Ziel als eines der Argumente angebracht, die zu der Rochade in der Krimiredaktion geführt hatte. Dort war sie nun die Chefin und bezog ein Gehalt, das die dringend notwendigen neuen Fenster in ihrem Haus bezahlen würde. Die Luft zwischen ihnen vibrierte.
»Ich habe aufgegeben!«
»Warum das denn?«
Für Otto Kaiser war nichts und niemand heilig, das hatte sie längst erkannt. Und Feingefühl war für ihn eine Stadt in Absurdistan. Sie überlegte, wie sie ihm möglichst kurz und prägnant vermitteln könnte, dass sie diesbezüglich ihren Frieden gefunden hätte. Dass es ihr ganz gut gehen würde mit dem Wissen, dass ihr Sohn, den sie damals zur Adoption freigegeben hatte, mittlerweile Ende zwanzig sein musste. Das Leben war zu kurz |50| für Reue, und man sollte nicht unnötig in der Vergangenheit bohren, hatten sie die jüngsten Ereignisse gelehrt. Es war allerdings auch zu kurz, um eine Streberin zu sein, was sie bereits vor Jahren hätte begreifen sollen. Nicht dass sie eine Vollblutstreberin war, aber sie hatte in ihrem Leben viele Entschlüsse gefasst, um es anderen recht zu machen: einem Redakteur hier, einem Geliebten dort, einem Familienmitglied hier, einem Kollegen dort. Vielleicht lag es jetzt am Alter, oder sie war tatsächlich in ihrer zweiten Pubertät. Sie empfand es als eine unerwartet neugewonnene Freiheit, Mitte vierzig zu sein und das Gefühl zu haben, niemandem etwas schuldig zu sein.
»Darum!«, antwortete sie nur.
Kaiser hob fragend eine Augenbraue, bohrte aber nicht weiter. Bo betrachtete eingehend seine Nägel, und die Kollegen hämmerten eifrig in die Tasten.
»Okay«, sagte der Chefredakteur endlich nach einer langen Pause. »Ich gebe dir eine Woche, um diese Geschichte zu recherchieren, aber keinen Tag länger. Wir müssen die Zeitung vollbekommen, Svendsen, und am liebsten nicht mit Märchen.«
Der Hund empfing sie wie immer mit lautem Fiepen und wildem Schwanzwedeln, als sie Stunden später in ihrem Haus in Kasted ankamen, das sie für die vielen Mängel und Fehler liebte und aus denselben Gründen auch hasste. Die Heizung machte Lärm, die Elektroleitungen waren zu schnell überlastet, und die meisten der Sprossenfenster hatten Sprünge, so dass der Blick über die Felder, hinunter nach Kasted By und auf das Moor dahinter, verschwommen war. Das war ihre unvollkommene Idylle. Der Ort, an dem sie sich entspannen konnte und ihren Gedanken freien Lauf lassen durfte, nur abgelenkt von Svendsen, der schwarzen
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