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Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
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sein.«
    Er hob eine Hand, ballte sie zur Faust und klopfte ihr damit auf den Kopf.
    »Du musst deinem Gefühl vertrauen, wo auch immer sich das befinden mag.«
     
    Endlich hatte sie die Tankstelle und das Neonschild erreicht. Aber die war geschlossen und kein Mensch weit und breit zu sehen. Sie benötigte einen Behälter. Warum hatte sie keinen leeren Kanister für solche Fälle im Auto? Sie hatte auch keinen Verbandskasten oder ein Warndreieck im Wagen. Warum war sie nur immer so verdammt schlecht vorbereitet?
    Sie sah sich suchend um. Dann entdeckte sie einen Wassereimer mit Schaber fürs Fensterputzen. Sie goss das Wasser auf den Asphalt, füllte den Eimer bis oben hin voll mit Benzin und bezahlte mit ihrer Kreditkarte. Der Rückweg zum Auto dauerte eine Dreiviertelstunde. In dieser Zeit hatte sie drei SMS von Bo erhalten, der mittlerweile androhte, die Polizei zu rufen.
    Völlig erschöpft kam sie beim Wagen an und füllte das Benzin in den Tank. Es tat gut, etwas Sinnvolles zu tun, obwohl sie sich wie von einer klebrigen Masse umhüllt fühlte, die versuchte, sie hinab in die Dunkelheit zu ziehen. Eigentlich war Aktivität immer das beste Mittel dagegen, unabhängig davon, wie tief sie schon im Treibsand steckte. Aber würde es auch dieses Mal helfen?
    |191| Sie warf den Wassereimer in den Graben, setzte sich ins Auto und holte das Handy aus der Tasche. »Bin auf dem Nachhauseweg«, schrieb sie Bo als Antwort, bevor sie den Motor startete. Doch da war bereits eingetreten, was sie befürchtet hatte. Das Weinen des Kindes mischte sich mit ihrem eigenen, und es bildeten sich Rinnsale, die ihre Wangen hinunterliefen, als sie den Wagen wendete und nach Hause fuhr.

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    Kapitel 29
    Das Thema von Bachs Fuge in g-Moll setzte mit einer fast zögerlichen Frage ein. Die Antwort erfolgte wesentlich prompter, aber bevor sie beendet war, wurde die Frage erneut gestellt, jetzt aber in der höchsten Stimme. Auch darauf gab es eine Antwort, aber ehe diese beendet werden konnte, tauchte die Frage wieder auf, dieses Mal in der Bassstimme. Und so wechselten sich Frage und Antwort zwischen den vier Stimmen ab, wie ein Ball, der von der einen zur nächsten geworfen wurde. Bis sie alle in einer Klimax verschmolzen und in einem erlösenden G-Dur Akkord endeten.
    Wagner lehnte sich mit dem Kopf gegen die Rückenlehne des Ohrensessels, den Ida Marie so hasste. Wenn die Welt doch nur so klar gegliedert wäre wie eine Fuge von Bach aus dem Wohltemperierten Klavier, dann müsste er dort nicht mitten in der Nacht hellwach sitzen und über einen Fall sinnieren, der für seinen Geschmack langsam zu kompliziert wurde.
    Er drückte auf die Wiederholtaste und bekam die Fuge ein weiteres Mal vorgespielt. Schon zum achten Mal hatte er das getan und konnte es sich selbst nicht so genau erklären. Aber das Erkundende, Suchende der Stimmen und ihr Streben nach Erlösung berührten ihn.
    Der Verlauf war so eindeutig. Nachdem die eine Stimme das |192| Thema vorgetragen hatte, blieb den anderen Stimmen gar nichts anderes übrig, als es zu spiegeln und mit Variationen zu wiederholen. Man konnte mit relativ großer Wahrscheinlichkeit den nächsten Zug, das folgende Motiv voraussagen, ohne dass es jemals langweilig wurde.
    Er griff nach dem Sandwich aus Vollkornbrot und Bauernsalami auf dem Couchtisch und spülte es mit einer Dose Bier hinunter. Die Muster und Verläufe von Verbrechen waren in der Regel ähnlich logisch wie eine von Bachs Fugen. Aber im aktuellen Fall waren ganze Tonleitern zerbrochen, und Disharmonien hatten jene Harmonie ersetzt, nach der er immer strebte. Es fehlten so viele Elemente. Als hätte ein wahnsinniger Komponist zu viele und unlogische Pausen über ein ursprünglich intaktes Notenbild gestreut.
    Er wusste nicht, warum er plötzlich aufgewacht war. Eigentlich hatte er neben Ida Marie in einem tiefen und traumlosen Schlaf gelegen. Aber Punkt zwei Uhr hatte er aus unerklärlichen Gründen die Augen aufgeschlagen, und von diesem Zeitpunkt an hatte er nicht wieder in den Schlaf zurückgefunden. Drei Stunden Ruhe hatte er gehabt, und jetzt saß er da und konnte nur darauf warten, dass die Sonne über seinem Reihenhaus in Viby aufging und vielleicht ein wenig Licht auf die Sache warf.
    In solchen Augenblicken war Bach sein einziger und wahrer Freund. Er konnte den Vergleich zu seinem Fall nicht lassen. Die vier Stimmen verhielten sich wie die Akteure auf der Bühne des Verbrechens. Was der eine unternahm, spiegelte sich wider

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